Freitag, 19 April 2024
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Wann hat der Mensch aufgehört, auf sein Herz zu hören? Überarbeitung, Depressionen, ADHS, Hashimoto

Wann hat der Mensch aufgehört, auf sein Herz zu hören? Leben mit Depressionen, ADHS und Hashimoto

Von Regina Schamberger

Michaela S., 35 Jahre alt, hat psychische Probleme. Ihr halbes Leben lang schon. Angefangen hatte das schon in der Kindheit, im Grundschulalter, da war sie irgendwie anders. Klassenlehrer machten ihre Eltern darauf aufmerksam, dass sie “seltsame Geräusche von sich gibt”, kaum aufpasst, verträumt ist, ihren eigenen Kopf hat und diesen durchsetzen will. Sie rieten, Michaela zu einem Kinderpsychologen zu schicken. Resultate gab es damals dabei keine. In den 90er Jahren maß man solchen Verhaltensweisen eher wenig Beachtung bei. Und so schwelte, was in der Kindheit nicht beachtet wurde, über Jahre und Jahrzehnte und grub sich tiefer, bildete Auswüchse und formte den Lebenslauf von Michaela grundlegend. 

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Pixabay

Schulischen und sozialen Problemen folgten berufliche Schwierigkeiten. Angefangene, abgebrochene Praktika und Ausbildungen, Probleme mit Vorgesetzten, eine immer tiefer gehende Abwärtsspirale, die ironischerweise stabil blieb, bis im Jahr 2009 der für Michaela wichtigste Mensch verstarb und ihrer Psyche nachhaltigen Schaden zufügte.

Die Psyche, Teil der Seele, kann man sich als eine Tasse vorstellen, diese Tasse fiel damals zum ersten Mal heftig zu Boden und es brachen Teile ab. 

Krankheiten sind Signale. Hashimoto Thyreoiditis und Depressionen

Heute ist Michaela ein wenig informierter als früher. Heute weiß sie, dass sie eine unheilbare Schilddrüsenerkrankung namens Hashimoto Thyreoiditis hat und sie weiß, dass sie Depressionen hat. Sie hat mit ihren 35 Lebensjahren auch kürzlich erfahren, dass sie das Aufmerksamkeitshyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS, hat. Sie weiß das. Aber die Welt weiß das nicht und die Welt sollte es besser auch nicht wissen, die Berufswelt jedenfalls nicht, denn man soll ja „normal“ wirken, damit man sich wie jeder andere Mensch auch perfekt eingliedern kann, unauffällig sein, arbeiten, keine Schwierigkeiten machen, nicht aus der Reihe tanzen, artig in die Kassen einzahlen, seine Beiträge abgeben, einen lupenreinen Lebenslauf haben.

Nichts davon klappt wirklich. Hätte man die ADHS schon im Kindesalter wahrgenommen, wäre Michaelas Weg vielleicht unkomplizierter verlaufen. Aber dieser Schritt zurück lässt sich jetzt nicht mehr machen und Rückschritte hat Michaela genug einstecken müssen. 

Standardisierte Aussagen und Ansichten

ADHS, Depressionen, das sind doch alles Modekrankheiten. Jeder hat mal eine schlechte Phase, ist mal traurig, jeder verzettelt sich mal, jeder vergisst mal etwas. 

ADHS und Depressionen? Nein, damit wollen wir nichts zu tun haben, das bringt uns nur Probleme, mit denen wir uns nicht befassen wollen. 

Inklusion heutzutage ist sehr wichtig, niemand darf und soll ausgeschlossen werden in dieser modernen, aufgeklärten und offenen Welt!

Drei Aussagen mit Gehalt. Zwei davon fußen auf Unwissen, mangelnder Aufklärung, Vorurteilen, Stigmatisierung. Die dritte Aussage repräsentiert einen guten Ansatz, wird sie aber wirklich überall so vertreten? 

Zurück ins System

Michaela nahm mehrfach an Rehabilitationsmaßnahmen teil. Klinikaufenthalt, berufliche Wiedereingliederung. In der Klinik sollte sie Methoden erlernen, mit sich und der Welt zurechtzukommen. Der zuständige Träger, der diese Maßnahmen unterstützte, hinterfragte nicht, ob die in der Klinik angebotene psychologische Behandlung passend ist und tatsächlich hilft. Er hinterfragte nicht, ob die im Anschluss folgende Maßnahme wirklich von Nutzen sei. Die Erwartungshaltung schien einem Schema F zu folgen: Menschen werden innerhalb weniger Monate wieder auf Vordermann gebracht und zurück auf den Arbeitsmarkt geschickt. Bei einigen funktioniert diese Methode, bei anderen nicht. 

Anders sein und sich dafür nicht schuldig fühlen?

Michaela gehört zu diesen anderen. Sie gehört zu den Menschen, die nicht dem ausgetretenen, bürokratisch betonierten Weg folgen können, sondern einen eigenen Weg durch den Dschungel schlagen müssen. Weil ihr Gehirn anders tickt, weil ihre Seele unlängst begonnen hat, laut zu schreien, weil ihr Körper ihr seit Langem wiederholt demonstriert, dass es so nicht weitergeht. 

So viele Menschen ignorieren diese drei Signale. Sie hören nicht auf ihren Körper, sie merken vielleicht nicht einmal, dass ihre Seele verkümmert, verwundet ist, dahinsiecht. Ihr Gehirn ist in Denkmustern und Glaubenssätzen eingeschlossen: Geld verdienen, erfolgreich sein, Macht haben, Ansehen ernten, sich und anderen auf multiple Art beweisen, dass man jemand ist. 

Geht es ihnen schlecht, greifen manche auf Medikamente zurück, schleppen sich trotz Erkrankung zur Arbeit, geben ehrgeizig ihr Bestes, bezahlen wieder und wieder mit ihrer Gesundheit, die zu einer Währung degradiert wurde. „Schlafen kann man, wenn man tot ist“, „Arbeite hart und leide ohne zu klagen“, Citius, Altius, Fortius – „Schneller, Höher, Stärker“. 

Manchmal endet diese Einstellung tödlich. Karōshi nennen die Japaner dies, „Tod durch Überarbeitung“. 

Was ist sinnvoll? Wohin gehen wir?

Ist dies zielführend? Ist dies des Lebens Sinn? Lebt man noch, wenn man geistig 24/7 auf der Arbeit ist oder das, was man tut, sogar hasst und es trotzdem fortsetzt, denn es ist ja notwendig? Warum tut man nicht, was man liebt, wenn man es kann? Warum geht man nicht andere, neue Wege?

Michaela hat sich nach einem heftigen Nervenzusammenbruch im Jahr 2016 solche Fragen immer wieder gestellt. Sie ist krank geworden, aber sind diese Krankheiten nicht auch eine Art Potenzial? Eine Chance? Ein Wink mit dem Zaunpfahl, ein Hinweis, dass es auch anders gehen kann?

Vor mehr als 4000 Jahren schrieb im alten Ägypten ein weiser Wesir namens Ptahhotep Folgendes:

„Folge deinem Herzen, solange du lebst,

[…]

denn deinem Ka (Seele) ist es ein Gräuel,

wenn du nicht auf die Stimme deines Herzens hörst.

[…]

Was auch geschieht, folge deinem Herzen.

Die Dinge gedeihen nicht besser,

wenn du es vernachlässigst.“

Wann hat der Mensch aufgehört, auf sein Herz zu hören? 

Wann wird er wieder damit beginnen?

Fett – der Bösewicht im Kampf gegen Kilos? – Janes Magazin (janes-magazin.de)

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