Dass eine Schlagersängerin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und noch dazu mit Lob des Bundespräsidenten überhäuft wird, das kommt nicht alle Tage vor.
Dass Wencke Myhre diese Ehre kürzlich zuteil geworden ist, ist angesichts von sechs Jahrzehnten musikalischer Errungenschaften nur folgerichtig gewesen. Und wenn man so will, dann ist der Orden in gewisser Weise auch ein vorzeitiges Geburtstagsgeschenk gewesen: Die fröhliche und energische Norwegerin, die sich auch von Schicksalsschlägen nicht aus der Bahn werfen lässt, wird am Dienstag (15. Februar) 75 Jahre alt.
«Liebe Frau Myhre, Ihr künstlerisches Werk schlägt seit den 1960er Jahren eine Brücke zwischen Norwegen und Deutschland. In beiden Ländern sind Sie Ikone und Botschafterin der Herzen», würdigte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als er der Sängerin Anfang November während einer Norwegen-Reise den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verlieh. Viele Ohrwürmer habe Myhre erzeugt, die deutsch-norwegische Kultur nachhaltig mit ihrer «Lebenslust und Strahlkraft» geprägt – und die Menschen in Deutschland gelehrt, «nicht gleich in jeden Apfel zu beißen».
Solches Lob von oberster Stelle? Selbst für eine vielfach gewürdigte Künstlerin war das etwas Besonderes. «Ich werde diese Auszeichnung für immer in meinem Herz tragen», sagte Myhre geehrt.
Deutschland und Wencke Myhre, das passte immer ganz gut zusammen. Gerade Schlagerfans haben die am 15. Februar 1947 in Oslo geborene Wenche Synnøve Myhre früh in ihr Herz geschlossen. Nachdem sie schon als 13-Jährige einen norwegischen Talentwettbewerb und damit ihren ersten Plattenvertrag gewonnen hatte, erhielt sie 1963 für ihre norwegische Version von Gitte Hænnings «Ich will ’nen Cowboy als Mann» ihre erste Goldene Schallplatte.
Der Sieg bei den Deutschen Schlagerfestspielen in Baden-Baden 1966 mit «Beiß nicht gleich in jeden Apfel» brachte ihr dann den endgültigen Durchbruch in Deutschland. Es folgten zahlreiche deutschsprachige Ohrwurm-Garanten wie «Er hat ein knallrotes Gummiboot» und «Er steht im Tor». Beim Eurovision Song Contest 1968 erreichte sie – für Deutschland – einen guten sechsten Platz.
Von der deutschen Sprache kannte sie außer der Grammatik anfangs nichts. Ihre ersten Texte lernte sie mit Lautschrift, ehe sie später mit Schlagergrößen wie Roy Black, Peter Alexander, Udo Jürgens und Michael Schanze vor der Kamera und auf der Bühne stand. In Norwegen profilierte sie sich zudem als Schauspielerin und Kabarettistin. Mitte der 70er Jahre hatte sie die Show «Das ist meine Welt» im ZDF, erfolgreich war zwischen 2004 und 2007 auch die Show «Gitte, Wencke, Siw» mit ihren skandinavischen Schlager-Mitstreiterinnen Gitte Hænning und Siw Malmkvist. Kurzum: Was für eine Karriere!
«Ich bin in Deutschland immer gut und herzlich empfangen worden. Und für mich ist Deutschland wie mein zweites Heimatland geworden», sagte Myhre beim Steinmeier-Termin. Dennoch lebt sie mittlerweile weitgehend in Norwegen, wo sie auf über 60 Jahre Bühnenerfahrung zurückblicken kann.
Aufhören? Davon kann auch mit 75 keine Rede sein. Wenige Tage nach ihrem Geburtstag sollte es eigentlich ein großes Geburtstagskonzert im Osloer Konzerthaus geben. «Ich freue mich, ich freue mich ordentlich. Das wird ein Fest», hatte Myhre dazu strahlend in einem Facebook-Video gesagt. Doch waren die Corona-Pandemie und ihre Unwägbarkeiten stärker: Die beiden Auftritte wurden vorzeitig in den Mai verschoben, danach wartet dann im Laufe des Sommers gleich noch eine ganze Reihe an weiteren 75-Jahr-Vorstellungen auf Wencke Myhre und ihre norwegischen Fans. Das Orchester wird dabei ihr schwedischer Lebenspartner, der Dirigent Anders Eljas, führen.
Ihre Energie scheint die vierfache Mutter und vielfache Großmutter auch heute noch behalten zu haben. Schicksalsschläge meisterte sie immer wieder, darunter Scheidungen, der Suizid ihres zweiten Mannes und die Diagnose Brustkrebs im Jahr 2010. Auf Letzteres ging auch Steinmeier ein. «Sie haben sich auch dafür eingesetzt, dass Krebs kein Tabuthema mehr ist», sagte er in Oslo. Nur ein Jahr danach habe sie schon wieder vor 40 000 Menschen auf der Bühne gestanden. «Liebe Frau Myhre, Ihr Lebensmut gehört auch zu den Träumen, die wir in uns tragen.»