16 Jahre lang war Angela Merkels Tagesablauf als Bundeskanzlerin durchgetaktet: Treffen der Bundesländer, Europäischer Rat – die vorweihnachtlichen Termine hat sie auch mehr als ein Jahr nach ihrem Rückzug aus der Politik noch im Kopf: «Nach 16 Jahren weiß man das einfach.»
Weil diese Termine aber inzwischen ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD) wahrnimmt, hat Merkel nun mehr Zeit für ihre Hobbys. In drei Sonderausgaben des SWR-Krimi-Podcasts «Sprechen wir über Mord?!», die in Berlin aufgezeichnet und heute veröffentlicht wurden, spricht Opern-Fan Merkel mit dem ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer und dem Moderator Holger Schmidt über die Morde in Richard Wagners Mammut-Oper «Der Ring des Nibelungen».
Drei Episoden: «Habgier», «Rache» und «Eitelkeit»
Die drei Episoden sind mit den Motiven «Habgier», «Rache» und «Eitelkeit» überschrieben. «Es wird zweifellos im «Ring» getötet, gemordet. Nebenbei auch gestohlen, geraubt, vergewaltigt, Inzest begangen und gebrandschatzt», fasst Schmidt die lange Liste der Kriminalfälle in den vier Teilen «Rheingold», «Walküre», «Siegfried» und «Götterdämmerung» zusammen.
«Ich kann jetzt auch Formate machen, die ich früher zumindest nur sehr sehr selten machen konnte», sagt die Altkanzlerin in dem Podcast. Sie habe einmal ausprobieren wollen, «in eine ganz andere Richtung zu gehen». «Das gehört zu meiner neu gewonnenen Freiheit dazu.»
Die gelernte Physikerin ist großer Wagner-Fan und besucht gemeinsam mit ihrem Mann Joachim Sauer regelmäßig die Bayreuther Festspiele. Die Festspiele läuteten traditionell den Sommerurlaub des Ehepaares Merkel/Sauer ein. Zuletzt wurde sie auch in der Berliner Staatsoper Unter den Linden im von Christian Thielemann dirigierten «Ring» gesehen.
Die Altkanzlerin über ihre «neu gewonnene Freiheit»
Ihre «neu gewonnene Freiheit» nutzt sie dazu, über diese große Leidenschaft zu sprechen. Dabei räumt sie ein, dass Wagner-Opern auch von ihr eine Konzentration erfordern, die sie in ihrer aktiven Zeit eigentlich nur im Urlaub so richtig aufbringen konnte.
«Wenn Sie aus irgendeiner Veranstaltung im politischen Alltag zur «Walküre» gehen: den ersten Akt mit Hektik geschafft, den zweiten Akt leicht eingenickt und im dritten Akt dann voll da – das ist nicht die gleiche Konzentration.»
Merkel sieht Analogien zu Politik und Privatem
Im Podcast verrät Merkel, dass sie im «Ring» auch Analogien sieht zum Familienleben und auch zum politischen Geschäft; schließlich werde da auf der Bühne «alles abgehandelt an menschlichen Stärken und Schwächen, was man so auf der Welt findet». Sie werde «jetzt keine Namen nennen», aber «bestimmte Motivlagen» habe sie ab und an schon wiedererkannt.
«Dass es Verletzungen gibt in der Politik, das ist doch klar», sagt sie und gesteht, dass es eine «nicht ganz einfache Situation» für sie war, als sie im Rennen um die Kanzlerkandidatur 2002 gegen den damaligen CSU-Chef Edmund Stoiber den Kürzeren zog. Aber: «Gute Politik lebt davon, dass die Person, die Politik macht – so habe ich es für mich versucht – sich nicht von den eigenen Verletztheiten treiben lässt, sondern mit denen fertig wird und dann wieder neu anfangen kann.» An anderer Stelle sagt sie: «Wenn man von Rache oder Vergeltungssucht so stark geprägt ist, dass man das nicht mehr aus dem Kopf kriegt, dann sollte man mit Politik aufhören.»
Auch um Eitelkeit geht es in dem Podcast – die sei auch ihr nicht fremd. «Zu behaupten, dass irgendjemand völlig frei ist von Eitelkeiten, das würde ich jedenfalls auch für mich nicht sagen», so Merkel. «Eitelkeit ist etwas, was dem Menschen schon sehr innewohnt. Aber auch sie muss gezügelt werden.»
Wütend auf Siegfried
Merkel und die beiden Männer sprechen über den Mord des Riesen Fafner an seinem Bruder Fasolt im Streit um den Ring – «Oder ist es Totschlag im Affekt?», über den von Siegfried am zum Drachen mutierten Fafner und schließlich über den von Hagen an Siegfried. Auf Siegfried sei sie übrigens «schon ein bisschen wütend», rügt die Altkanzlerin – «dass er sein Glück so verspielt».
Die heute 68 Jahre alte Merkel war zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr nicht mehr angetreten. Sie tritt inzwischen von Zeit zu Zeit als Rednerin auf – unter anderem im September beim Stadtjubiläum in Goslar oder zum 77-jährigen Bestehen der «Süddeutschen Zeitung» in München. Im Herbst 2024 will sie ihre Memoiren veröffentlichen, wie ihr Verlag kürzlich mitteilte.
Am Schluss des Podcasts hat der Hörer das Gefühl, für die Altkanzlerin hätte es ruhig noch ein wenig weitergehen können. «Die Zeit verfliegt ein bisschen schnell» und man könne doch «Stunden sprechen» über den «Ring». Das Angebot Schmidts, nochmal wiederzukommen und dann über Unrecht im Strafrecht der DDR zu sprechen, lehnt sie allerdings ab: «Vielleicht sollten Sie sich da jemanden nehmen, der auch mal Unrecht erlebt hat im Strafrecht der DDR.»