Mittwoch, 18 Dezember 2024
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Klimmzüge & Tischtennis – Günter Wallraff wird 80

Der Weg zu Deutschlands bekanntestem Enthüllungsjournalisten führt in eine enge stille Straße, zu einem alten grauen Haus, durch einen schmalen kühlen Gang in einen Hof.

Dort steht ein Gartenhaus, und darin sitzt Günter Wallraff. Am Samstag (1. Oktober) wird er 80 Jahre alt. Aber das ist kein Thema, das ihm liegt. «Es ist kein Verdienst, so alt zu werden», sagt er der Deutschen Presse-Agentur. «Und ich lasse mich nicht gerne feiern.»

In seinem persönlichen Kalender hat er sich für den 1. Oktober eine «80» eingetragen, dahinter aber ein Fragezeichen gemacht. Bis zuletzt hatte er immer noch Zweifel, ob er überhaupt so alt werden würde. «80 Jahre – das liegt einfach jenseits meines Vorstellungsvermögens.»

Fließband-Malocher, Gastarbeiter, Paketschlepper, Obdachloser, Brötchenbäcker und Beschäftigter im Callcenter – wenn Günter Wallraff aus dem Alltag der Machtlosen berichtet, dann hat er ihn zuvor meist selbst erlebt. Mit falscher Identität und verfremdetem Aussehen taucht er ein ins Milieu, erfährt Ausbeutung am eigenen Leib, um sie dann schildern und anprangern zu können. Seit 2012 legt er für RTL mit «Team Wallraff» zweifelhafte Zustände offen, recherchiert wurde unter anderem in der Pflege, Logistik und Gastronomie.

«Wallraffen» nennt man das – auch in schwedischen und norwegischen Wörterbüchern. An der Rückseite seines Arbeitszimmers stehen im Regal zahllose Ausgaben seines in 38 Sprachen übersetzten Erfolgstitels «Ganz unten» (1985) mit einer deutschsprachigen Gesamtauflage von über fünf Millionen.

In dem Haus in Köln-Ehrenfeld, in dem er heute wohnt, war einst das Geschäft seines Großvaters untergebracht. Hier wurden Klaviere gebaut. Man sieht noch die Schienen, die man brauchte, um sie auf die Straße zu rollen. Wallraff selbst ist nicht in Ehrenfeld aufgewachsen, sondern in einem anderen Stadtteil von Köln, Mauenheim. In die Klaviermanufaktur zog er mit 25 Jahren ein. Damals war sie ziemlich verfallen.

Ein benachbartes ehemaliges Kutschhaus baute er zu einem Begegnungszentrum mit Ausstellungsräumen für eine Steinsammlung und von ihm gestaltete Steinskulpturen um. Im Vorderhaus entstanden Wohnungen. Viele Gestrauchelte und Verfolgte sind dort untergekommen, so der Liedermacher Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung aus der DDR und der Obdachlose Richard Brox, dessen Autobiografie später ein Bestseller wurde.

Der prominenteste Mitbewohner war der Schriftsteller Salman Rushdie, der nach einer als Fatwa bezeichneten Todesdrohung des Ayatollah Khomeini um sein Leben fürchten musste. 1993 war das. Dass jetzt, so viel später, doch noch ein Anschlag auf seinen Freund verübt worden ist, hat Wallraff tief erschüttert. «Der Attentäter sah sich als Vollstrecker der Fatwa», ist er sich sicher.

Die Zeit mit Rushdie steht Wallraff noch lebendig vor Augen. Der Autor der «Satanischen Verse» wohnte zunächst in einem Anbau im Garten, aber dort konnte er nicht schlafen, weil seine Leibwächter lautstark mit ihren Walkie-Talkies Kontakt hielten. «Da haben wir ihn oben untergebracht, da hatte er mehr Ruhe.» Sie haben auch Tischtennis gespielt damals. In einem Interview sagte Rushdie später einmal, sein einziger Kritikpunkt an Günter Wallraff sei, dass er besser Tischtennis spielen könne als er. Dabei sei das die einzige Sportart, in der er überhaupt etwas zustande bringe.

Die berühmte Tischtennisplatte steht in einem weiteren Gartenhaus, das von einem Nussbaum überragt wird. Wallraff spielt ausschließlich mit einem 40 oder 50 Jahre alten, abgewetzten Schläger, den mal jemand bei ihm vergessen hat. Neulich hatte er einen Alptraum, wie er erzählt: Der Schläger zerbarst in 1000 Stücke.

Solche Träume plagten ihn in letzter Zeit häufiger. Auch sehe er nachts sein Leben an sich vorbeiziehen. «Das geht bei mir seit Monaten so, dass ich maximal nur vier Stunden schlafen kann. Nachts, wenn ich wach liege, wird das ganze Leben im Schnelldurchlauf abgespult. Ich durchlebe alles mögliche, was unbewältigt, unerledigt ist. Versäumnisse, Verletzungen, eigenes Versagen, immerhin manchmal auch Positives.»

Neben dem Bett hat er eine Kladde liegen, in der er alles aufschreibt, auch die Alpträume, «vielleicht einiges verwendbar für meine Autobiografie». Er vermutet, dass das nächtliche Grübeln und Wachliegen auch etwas mit der Verdunkelung der Weltlage zu tun hat – Stichwort Ukraine-Krieg und Klimakatastrophe. Vor ein paar Monaten hatte er einen Zusammenbruch und dachte schon, das war’s jetzt. Wer ihn allerdings beim Tischtennisspielen erlebt und zuschaut, wie er in seinem Garten Klimmzüge macht, kann nicht wirklich glauben, dass das Ende kurz bevorsteht.

Und was ist nun mit seinem Geburtstag? Seinen 50. hat er 1992 zusammen mit Vietnamesen in Rostock gefeiert, kurz nach den Pogromen wenige Wochen zuvor, jedoch ohne zu sagen, dass er Geburtstag hatte. Zu seinem 60. fuhr er nach Afghanistan, um dort eine Mädchenschule zu stiften. Und nun, zum 80.? «Es wird etwas Sinnvolles sein, unspektakulär, mit liebenswerten Menschen, die in der Gesellschaft ganz unten stehen.» Typisch Wallraff eben.

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