Warme Wasser sind tief: Tiefengeothermie in Bayern auf Expansionskurs
Vor einer Woche hat das Bundeskabinett das Geothermie-Beschleunigungsgesetz, kurz GeoWG, auf den Weg gebracht. Was sperrig klingt, soll durch schnellere und einfachere Genehmigungen fรผr weniger Bรผrokratie und das Voranbringen der Wรคrmewende sorgen. Denn in der Theorie kรถnnte insbesondere die Tiefengeothermie ganze Stadtviertel unentwegt mit Wรคrme versorgen – unerschรถpflich, jederzeit verfรผgbar und vor allem klimafreundlich. Doch in der Praxis kommt in Deutschland die grรผne Technologie aufgrund zahlreicher Hรผrden viel zu wenig zum Einsatz.
Vorreiter wie das bayerische Energieversorgungsunternehmen Erdwรคrme Grรผnwald GmbH oder die Stadtwerke Mรผnchen treiben die Nutzung der tiefen Geothermie dennoch seit langem voran. Beim Ausbau der Fernwรคrmeleitungen und dem Bau eines neuen Heizkraftwerks unterstรผtzt das auf Bau, Immobilien und Infrastruktur spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE.
Das Potenzial ist enorm: Laut Studie des Leibniz-Instituts fรผr Angewandte Geophysik kรถnnten tiefe und oberflรคchennahe Geothermie bis 2045 etwa 40 Prozent des Wรคrmebedarfs in Deutschland liefern.[i] Allerdings deckt die sogenannte hydrothermale Tiefengeothermie bislang weniger als ein halbes Prozent des hiesigen Wรคrmebedarfs.[ii] Dem „Masterplan Geothermie Bayern“ der Technischen Universitรคt Mรผnchen zufolge wรคren aber sogar allein 40 Prozent des bayerischen Wรคrmebedarfs nur aus der Tiefengeothermie bedienbar.[iii]
„Bei der Tiefengeothermie geht es stark vereinfacht darum, heiรes Wasser aus Erdschichten mit einer Tiefe von mehr als 400 Metern fรผr die Wรคrme- und in Teilen auch Stromgewinnung zu nutzen. Optimale Bedingungen dafรผr herrschen hierzulande im Norddeutschen Becken, im Oberrheingraben und in Sรผdbayern vor. Insbesondere im sรผddeutschen Molassebecken, das sich von der Donau bis zum Alpenvorland erstreckt, gibt es das grรถรte Heiรwasservorkommen in Mitteleuropa“, erklรคrt der Energie-Experte Leonardo Estrada von Drees & Sommer.
Noch sind Geothermie-Heiznetze als Wรคrmewunder allerdings selten, doch es gibt sie: zum Beispiel in der bayerischen Gemeinde Grรผnwald nahe Mรผnchen. Dort wird mit der Geothermiequelle Laufzorn bis zu 128 Grad heiรes Wasser aus einer Tiefe von mehr als 4.000 Metern gefรถrdert. Bereits im Jahr 2011 waren in Grรผnwald erste Haushalte, Unternehmen und kommunale Einrichtungen ans Fernwรคrmenetz angeschlossen. Stand 2023 betrug dessen Lรคnge schon rund 110 Kilometer. Es versorgt heute mehr als 3.500 Haushalte, Gewerbe und รถffentliche Gebรคude mit Wรคrme.
62,3 Millionen des Bundes fรผr Grรผnwalds Wรคrmewende-Erfolgsmodell
Damit erfรผllt in der Gemeinde Grรผnwald jeder dritte private Haushalt, was andernorts in puncto Wรคrmewende und Klimaneutralitรคtszielen in weiter Ferne scheint. Rund 22.000 Tonnen CO2 sparte die Gemeinde Grรผnwald im Jahr 2023 durch die Nutzung der Fernwรคrme aus der Tiefengeothermie. Fakten, die auch den Bund รผberzeugen: So bewilligte das Bundeswirtschaftsministerium im Juni 62,3 Millionen Euro Fรถrdergeld fรผr die geplante zweite Bohrung der Erdwรคrme Grรผnwald GmbH.
Schlafender Riese unter unseren Fรผรen
„Mehr als die Hรคlfte des klimaschรคdlichen CO2 verursachen wir mit unserer fossilen Wรคrmeversorgung. Dabei haben wir einen schlafenden Riesen mit einem Bodenschatz in allen Etagen unter unseren Fรผรen. Damit kรถnnten wir eine zuverlรคssige, preisstabile und sichere Energieversorgung gewรคhrleisten“, sagt Andreas Lederle, Geschรคftsfรผhrer der Erdwรคrme Grรผnwald GmbH und zรคhlt die Vorteile der grรผnen Energiequelle auf: „Geothermie ist immer verfรผgbar, wetterunabhรคngig und landschaftsschonend. Die Anlagen sind grundlastfรคhig und ihr Betrieb verursacht keine Umweltbelastungen.“
Doch der Weg zur klimafreundlichen Wรคrme ist kein leichter: „Mรถglicherweise wird in der Bohrung nichts gefunden. Neben diesen Fรผndigkeitsrisiken waren und sind langwierige Genehmigungsverfahren, lange Projektphasen und die tรคglichen Anforderungen an einen reibungslosen Betrieb groรe Herausforderungen. Damit ist Geothermie kostenintensiv, sie ist Langstrecke. Aber andererseits importieren wir jedes Jahr 110 Milliarden Euro an fossilen Energien aus dem Ausland“, sagt Lederle. Fรผr ihn ist eine Grundvoraussetzung fรผr den Erfolg der tiefen Geothermie die intelligente Vernetzung von Fernwรคrmenetzen.
Ausbau schreitet voran
So ist der Bedarf an neuen Transportleitungen fรผr das Fernwรคrmenetz in Grรผnwald aufgrund der wachsenden Nachfrage nach neuen Anschlรผssen entsprechend groร. Geplant ist kรผnftig die Wรคrmeversorgung aller Grรผnwalder Gebรคude mit geothermischer Wรคrme. Und so gelingt es dem Grรผnwalder Energieversorgungsunternehmen, aller bisherigen Hรผrden zum Trotz, den Ausbau der Tiefengeothermie weiter voranzutreiben.
Im Zeitplan wurde die Baustelle der Netzanbindung Nord in der Bavaria Filmstraรe fertiggestellt. Es handelt sich um eine etwa 4,7 km lange Fernwรคrmetransportleitung zwischen den Standorten Laufzorn, Unterhaching und dem Norden Grรผnwalds, die kรผnftig den Norden des Grรผnwalder Fernwรคrmenetzes mitversorgt. Derzeit lรคuft die Inbetriebnahme, so dass die Bรผrgerinnen und Bรผrger voraussichtlich termingerecht zur Hauptheizperiode im Herbst 2024 die grรผne Wรคrme erhalten. Im Bereich der Bavariafilmstudios verbindet sich die neue Leitung mit dem vorhandene Fernwรคrmenetz, was zudem zu mehr Versorgungssicherheit beitrรคgt.
Gemeinsam mit ihrem Team koordinierte Anita Beusch, Senior Projektleiterin bei Drees & Sommer, die Planung und den Bau der sogenannten Nordanbindung. „Die Trassenfรผhrung fรผhrt von Oberhaching entlang der Forstwege durch den Perlacher und Grรผnwalder Forst bis in den Norden von Grรผnwald“, sagt die Bauingenieurin. „Bei dem Projekt war eine besonders achtsame und genaue Ausfรผhrung oberstes Gebot. Im Landschaftsschutzgebiet Perlacher und Grรผnwalder Forst einschlieรlich des Gleiรentales herrschen besonders strenge Vorgaben fรผr einen Eingriff mit Maschinen, um die รถkologische Funktionalitรคt zu sichern und Flora und Fauna so wenig wie nur mรถglich zu beeintrรคchtigen.“ Die Baumaรnahmen wurden deshalb in fรผnf Abschnitten als Art Wanderbaustelle durchgefรผhrt: Sobald ein Baufeld fertig bearbeitet war und die Rohrleitungen verlegt, wurde der Abschnitt wieder verfรผllt und das nรคchste Baufeld bearbeitet.
Neuer Standort Laufzorn II: Wรคrme fรผr mehr als 6.000 Haushalte
Nicht nur am Ausbau der Leitungen, sondern auch am Erschlieรen neuer Heiรwasserquellen arbeitet die Erdwรคrme Grรผnwald GmbH mit Hochdruck, um damit Haushalte in Grรผnwald und Unterhaching, versorgen zu kรถnnen: Sรผdlich des bestehenden Standorts in Laufzorn realisiert das Unternehmen mit Unterstรผtzung von Drees & Sommer das Groรprojekt „Laufzorn II“. Es handelt sich um einen weiteren Standort zur Wรคrmeversorgung mit einem Heizwerk und vier Tiefenbohrungen, die rund 4.000 Meter erreichen. Mรถglich ist eine nachtrรคgliche Erweiterung auf sechs Bohrungen.
„Nach Fertigstellung der letzten Bohrung und dem Rรผckbau der Bohranlage beginnen die Arbeiten an der Obertageanlage und den Fernwรคrmetrassen. Geplant ist ein kleineres Heizwerk, da nur eine Wรคrmeauskopplung benรถtigt wird. Zudem entfallen viele Hilfs- und Nebenanlagen, weil sich die Infrastruktur des Bestandswerks Laufzorn mitnutzen lรคsst. Da die Anlage auรerdem auf einer geringen Grundstรผcksflรคche gebaut wird, ermรถglicht das, einen groรen Teil der in der Bauphase beanspruchten Flรคche zu renaturieren“, erlรคutert Drees & Sommer-Projektleiterin Anita Beusch. Nach den Bohrungen soll in den kommenden Jahren das Heizwerk errichtet werden. Im Anschluss ist ein Testbetrieb fรผr Laufzorn II vorgesehen.
Wรคrme lรคuft wie am Schnรผrchen: Das Groรvorhaben Perlenschnur
„Verbundleitungen schรถpfen das Fernwรคrmepotenzial optimal aus, da sich die Fernwรคrme รผber lรคngere Strecken mit geringen Temperaturverlusten transportieren lรคsst und so weniger Anlagen notwendig sind. Zusรคtzlich erhรถhen die Leitungen die Auslastung und die Ausfallsicherheit der einzelnen Anlagen. Dadurch lassen sich sowohl Effizienz als auch Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems und jeder Einzelanlage steigern“, erlรคutert Erdwรคrme Grรผnwald-Geschรคftsfรผhrer Lederle.
Gute Grรผnde, aufgrund der das Unternehmen in Kooperation mit den Stadtwerken Mรผnchen beabsichtigt, einen interkommunalen geothermischen Wรคrmeverbund namens Perlenschnur aufzubauen. Denn wie Perlen an einer Schnur reihen sich die bislang acht Geothermieprojekte im Sรผden von Mรผnchen auf, darunter auch die Standorte Laufzorn und Laufzorn II. Ziel des gemeinsamen Vorhabens beider Energieversorger ist es, kรผnftig alle Anlagen in einem groรen Fernwรคrmeverbund zu bรผndeln, um die bayerische Landeshauptstadt mit Wรคrme zu versorgen. Zudem wollen die Unternehmen weitere Geothermie-Anlagen erschlieรen und ihre Fernwรคrmenetze deutlich ausbauen.
Was den Durchbruch der Tiefengeothermie in der Breite angeht, gibt es Lederle zufolge noch einiges zu tun: „Das Augenmerk muss nun darauf liegen, verantwortliche Umsetzungseinheiten aufzubauen, zeitnahe Forschungsprojekte zu fรถrdern, bรผrokratische Hรผrden fรผr Genehmigungsprozesse abzubauen, ein Geothermie-Erschlieรungsgesetz zu erlassen, das Fรถrderumfeld zu verbessern, gรผnstige Projektbedingungen zu schaffen und Finanzierungsinstrumente fรผr Kommunen bereitzustellen.“
Geothermie-Gesetz: Zehn mal mehr Energie aus Erdwรคrme bis 2030
Gute Nachrichten fรผr die Geothermie gibt es nun aktuell aus Berlin: Anfang September hat das Kabinett den Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren von Geothermieanlagen, Wรคrmepumpen und Wรคrmespeichern beschlossen. Laut Bundeswirtschaftsministerium soll das Gesetz (GeoWG) die Grundlagen dafรผr schaffen, dass sich bis 2030 zehn Terawattstunden Energie aus Erdwรคrme gewinnen lassen – das sind etwa zehnmal so viel wie derzeit. [iv]
„Mit dem Gesetz macht der Bund einen bedeutenden Schritt nach vorne, um die Wรคrmegewinnung aus tiefen Erdschichten unbรผrokratischer und vor allem schneller zu gestalten“, erklรคrt Leonardo Estrada, Geothermie-Experte bei Drees & Sommer. „Genehmigungsverfahren dรผrfen sich kรผnftig nicht mehr in die Lรคnge ziehen, sondern mรผssen innerhalb eines statt sehr vieler Jahre abgeschlossen sein.“ Zudem plant die Bundesregierung, die Fรผndigkeitsrisiken teilweise durch Kredite der staatlichen KfW-Bank abzusichern. Sie sollen nicht nur gรผnstige Zinskonditionen bieten, sondern auch teilweise auf Rรผckzahlungen verzichten, falls die geologischen Bedingungen fรผr die Tiefengeothermie nicht erfรผllt sind.
Quellen:
Leibniz-Institut fรผr Angewandte Geophysik: Geothermische Direktwรคrmenutzung (geotis.de)
Geothermie: Rechnerisch 40 Prozent des bayerischen Wรคrmebedarfs bedienbar – TUM