StartNewsBundesfinanzminister Christian Lindner im Interview mit der Passauer Neuen Presse

Bundesfinanzminister Christian Lindner im Interview mit der Passauer Neuen Presse

Datum
12.04.2023

Passauer Neue Presse: Herr Lindner, 18 Milliarden Euro fehlen im Haushaltsplan fรผr 2024. Sind das nicht Peanuts in Anbetracht der Summen, um die es 2022 ging?

Christian Lindner: Nein, denn wรคhrend der Pandemie und nach dem Angriff auf die Ukraine hat Deutschland mit Notlagenkrediten gearbeitet. Das ist beendet. Als Finanzminister bin ich zur Schuldenbremse zurรผckgekehrt. Angesichts der gestiegenen Zinsen ist das ein Gebot der รถkonomischen Vernunft. 2021 hatten wir eine Zinslast von vier Milliarden, 2023 werden wir 40 Milliarden Euro zahlen. Die gut zehn Jahre mit Null- und Negativzins wurden leider nicht genutzt. Im Gegenteil, CDU, CSU und SPD haben die temporรคre Zinsersparnis genutzt, um neue Sozialleistungen und Subventionen zu beschlieรŸen. Nachdem sich das Zinsniveau normalisiert, zeigt sich, dass vieles nicht nachhaltig finanziert wurde. Die Politik muss neu lernen, dass der Wohlstand nicht schneller verteilt werden kann, als er erwirtschaftet wird.

Passauer Neue Presse: Mรผssen wir zurรผck zur schwarzen Null?

Christian Lindner: Das Wort โ€žzurรผckโ€œ legt nahe, dass frรผher solide gewirtschaftet wurde. Das muss ich relativieren. Von der Vernachlรคssigung der Bundeswehr bis zu den Sozialsystemen kommen Entscheidungen der groรŸen Koalition gerade wie ein Bumerang auf den Bundeshaushalt zurรผck. In der Sache bin ich ein Verfechter der Schuldenbremse, die im Verlauf der Konjunktur auch begrenzte Kreditaufnahme erlaubt. Die Schwarze Null hingegen hat einen symbolischen Wert, die Schuldenbremse des Grundgesetzes ist aber intelligenter.

Passauer Neue Presse: Wie wird dieser Haushalt eingebracht? Sie verzichten auf Eckwerte.

Christian Lindner: Bei der Vereinbarung von Eckwerten erhalten die Ressorts groรŸe Autonomie. Dieses Mal mรผssen wir aber regierungsintern die einzelnen Ausgabeposten auf ihre Begrรผndung und ihre Hรถhe hin gemeinsam beraten. Es gab zuletzt 2010 eine so herausfordernde Haushaltsaufstellung. Wir mรผssen das Notwendige vom Wรผnschenswerten trennen. Nicht alles, was wรผnschenswert ist, kann sofort kommen. Denn Steuererhรถhungen schlieรŸe ich aus. Deutschland ist ja trotz der von uns umgesetzten Steuerreformen immer noch ein Hochsteuerland. Neue Belastungen wรผrden Wettbewerbsfรคhigkeit kosten.

Passauer Neue Presse: Das eingeplante Geld fรผr Strom- und Gaspreisbremsen wird wohl nicht vollstรคndig gebraucht. Auch die Hรคrtefallhilfen nicht. Erwarten Sie Begehrlichkeiten?

Christian Lindner: Davon liest man schon. Das ist aber ausgeschlossen. Die 200 Milliarden Euro Kreditermรคchtigungen sind zweckgebunden fรผr die Strom- und Gaspreisbremsen. Ich bin zuerst kritisiert worden, dass ich diese Mittel vom regulรคren Bundeshaushalt separiert habe. Jetzt zeigt sich der Grund. Denn die nur fรผr Notlagen gedachten Kreditermรคchtigungen kรถnnen nicht einfach anders genutzt werden, wenn es der Politik gefรคllt. Wenn diese nicht benรถtigt werden, machen wir schlicht weniger Schulden. Wรคhrend der Corona-Pandemie wurden Notlagenkredite dagegen teilweise auch fรผr anderes verwendet.

Passauer Neue Presse: Sie sagen es: Corona-Gelder haben Sie selbst fรผr Klimainvestitionen zweckentfremdet.

Christian Lindner: Nein, wir haben Kreditermรคchtigungen genutzt, um wegen der Pandemie ausgefallene Investitionen nachzuholen. Der Bezug zur Pandemie ist verfassungsrechtlich wichtig und gegeben. Allerdings verhehle ich nicht, dass dies ein Kompromiss in der Koalition war. Den entsprechenden Haushaltsbeschluss hat noch mein Vorgรคnger konzipiert. Obwohl das verantwortbar war, bleibt es bei der einmaligen Nutzung des Instruments. Denn Schulden sind Schulden unabhรคngig von der Buchungstechnik.

Passauer Neue Presse: Der erwรคhnte Vorgรคnger war der jetzige Bundeskanzler. Teilt er Ihre Auffassung?

Christian Lindner: Ich fรผhle mich vom Bundeskanzler in allen wichtigen Fragen unterstรผtzt.

Passauer Neue Presse: Sie sagten unlรคngst, dass die Lรคnder nicht mit mehr Geld fรผr die Flรผchtlingsversorgung rechnen dรผrften. Fehlt es nicht objektiv an Geld in dem Bereich?

Christian Lindner: Der Bund รผbernimmt seinen Teil der Verantwortung. Fรผr die Geflรผchteten aus der Ukraine zahlt er beispielsweise Bรผrgergeld, obwohl eigentlich die Lรคnder den Lebensunterhalt finanzieren mรผssten. Der Bund hat viele Aufgaben, die er exklusiv erfรผllt: die marode Bundeswehr zu modernisieren, die Sanierung der Infrastruktur, die Sicherung der Rente zum Beispiel. Das Gewicht der Finanzierung hat sich lรคngst zu Ungunsten des Bundes verschoben. Der Bund mรผsste die Lรคnder um Unterstรผtzung bitten und nicht umgekehrt. Der Bund ist schon รผber die Grenze seiner Finanzierungsmรถglichkeiten in Anspruch genommen.

Passauer Neue Presse: Wรคre es sinnvoller mit den Milliarden, die nach Meinung ihrer Koalitionspartner zusรคtzlich in die Kindergrundsicherung flieรŸen sollen, ein Ausbildungs- oder Jobprogramm zu finanzieren, das sich an die auslรคndischen Mitbรผrger in den Transfersystemen richtet?

Christian Lindner: Eines vorweg, es soll kein Kind die Klassenfahrt versรคumen, weil die Eltern kein Geld dafรผr haben. Ihre Frage hebt aber einen wichtigen Aspekt der geplanten Kindergrundsicherung hervor, der noch zu wenig diskutiert wird. Die Kinder leben ja mit Erwachsenen zusammen und erhalten das Geld nicht selbst, weshalb die Situation der ganzen Familie angesehen werden muss. Deutschland hat seit 2015 hohe Zuwanderung erlebt, weshalb auch die Zahl der Kinder gestiegen ist, die in Familien ohne Arbeit oder nur mit geringem Einkommen aufwachsen. Viele Familien mit Kindern, die eingewandert sind, sind bisher nicht im Arbeitsmarkt angekommen. Auch wenn das Wort Kindergrundsicherung herzlich klingt, sind die Milliarden Euro fรผr gute Kitas und Schulden, Sprachfรถrderung und Arbeitsmarktfรถrderung der Eltern mรถglicherweise besser angelegt. Zudem wollen die Grรผnen hรถhere Geldleistungen an Erwachsene mit Kindern zahlen, die als Asylbewerber noch ohne gesicherte Aufenthaltsperspektive Sozialleistungen erhalten. Das halte ich migrationspolitisch fรผr falsch. Tatsรคchlich haben wir Anfang des Jahres das Bรผrgergeld eingefรผhrt, den Kinderzuschlag und das Kindergeld spรผrbar angehoben. Davon profitieren Familien, die wenig oder kein Einkommen haben. Wir mรผssen bei neuen Sozialleistungen nun darauf achten, dass sich Menschen nicht irgendwann fragen, ob es bei ihnen finanziell noch einen fairen Unterschied ausmacht, wenn sie Arbeiten gehen oder nicht.

Passauer Neue Presse: Kinderzuschlag oder Kindergeld sollen kรผnftig automatisch ausbezahlt werden. Ist das nicht im datenschutzverliebten Deutschland eine Illusion?

Christian Lindner: Ich bin optimistisch. Wir haben viele Hilfen und Leistungen fรผr Familien, die nicht in Anspruch genommen werden. Das zu verbessern, ist die bahnbrechende Idee der Kindergrundsicherung. Ein vereinfachtes automatisiertes Verfahren wรผrde nach meinen Experten dazu fรผhren, dass zwei bis drei Milliarden Euro mehr an Familien flieรŸen. Lisa Paus kann sich hier groรŸe Verdienste erwerben, wenn das gelingt. Das Ziel muss sein, dass Familien das, was ihnen schon heute an beachtlichen Leistungen zusteht, auch bekommen. Darรผber hinaus mรผssen Bildung, Integration in den Arbeitsmarkt und berufliche Qualifikation im Vordergrund stehen.

Passauer Neue Presse: Arbeitsminister Hubertus Heil hat eine Erhรถhung des Mindestlohns auf 14 Euro ins Spiel gebracht. Ist es richtig, so Druck auf die Mindestlohnkommission auszuรผben?

Christian Lindner: Die Mindestlohnkommission bekommt von mir die Versicherung, dass wir ihre Unabhรคngigkeit brauchen. Eine Politisierung der Lohnpolitik darf es in Deutschland nicht geben.

Passauer Neue Presse: Wie stehen Sie zu einer Abwrackprรคmie fรผr alte Heizungen?

Christian Lindner: Zunรคchst einmal: Es gibt keine neue Austauschpflicht fรผr Heizungen. Das war uns wichtig. Eine รถffentliche Fรถrderung fรผr die Modernisierung macht aber Sinn, um Tempo bei der CO2-Einsparung zu machen. Dabei sollten wir mit jedem eingesetzte Euro den hรถchsten Effekt anstreben. Dazu kรถnnte man staffeln: Je รคlter und schmutziger eine Heizung ist, desto hรถher kann die Fรถrderung ausfallen. Das umfasst mittelbar eine soziale Komponente, da Menschen mit geringen Einkommen tendenziell รคltere Heizungen haben. Fรผr welche neue Technologie die Eigentรผmer die Mittel einsetzen, sollten sie aber selbst entscheiden. Wir bleiben technologieoffen, moderne Gasheizungen haben also ihre Platz.

Passauer Neue Presse: Der Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralitรคt beschรคftigt ganz Europa. Viele Staaten verlangen auch deshalb eine Aufweichung der Schuldenregeln. Die Kommission hat dafรผr Sympathie. Wie lange halten Sie ihren Widerstand durch?

Christian Lindner: Niemand hat uns zugetraut, dass wir in Europa das Verbot des Verbrennungsmotors verhindern. Denn es gibt mehr vernรผnftige Kรถpfe, als man gemeinhin รถffentlich wahrnimmt. Nach meiner Prognose verhรคlt es sich bei den EU-Fiskalregeln genauso. Ich wรผrde jedenfalls keiner Reform zustimmen, die eine Einladung zu uferloser Neuverschuldung ist. Im Gegenteil, die Staatsdefizite und Schuldenstรคnde mรผssen verlรคsslicher als bisher reduziert werden.

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