Am 28. Februar ist der internationale Tag der Seltenen Erkrankungen
Der Rare Disease Day oder auch der „Tag der Seltenen Erkrankungen“ macht auf Menschen mit seltenen Erkrankungen aufmerksam. Davon gibt es leider mehr als 6.000 verschiedene. Eine Krankheit wird als selten bezeichnet, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen daran erkrankt sind. In Deutschland leben rund vier Millionen Menschen in Deutschland an einer seltenen Erkrankung.
Berlin, 25.01.2023.
Paul Seyfarth, 25, lebt seit seiner Geburt mit dem „Kongenitalem Hyperinsulinismus“, eine seltene Erkrankung, bei der es zu Stรถrungen der Insulinfreisetzung kommt. In Folge besteht bereits im Kindesalter eine bleibende Neigung zur Unterzuckerung, wodurch das kindliche Gehirn in seiner Entwicklung stark geschรคdigt werden kann.
Dank frรผher Diagnostik und immer besserer Therapiemรถglichkeiten hat Paul seine Krankheit im Griff und sich entschieden, seine Erfahrungen in der Selbsthilfe zu teilen: In dem Verein „Kongenitaler Hyperinsulinismus e.V.“ vertritt er die Junge Selbsthilfe, die er gerade aufbaut.
Wie bist Du zur Selbsthilfe gekommen?
Meine Mutter hat damals den Verein zusammen mit anderen betroffenen Eltern vor rund 10 Jahren gegrรผndet. Dadurch bin ich als kleines Kind fast von selbst in die Junge Selbsthilfe reingewachsen.
Was gefรคllt Dir an der Jungen Selbsthilfe?
Der Austausch mit Gleichgesinnten! Unsere Treffen bewegen mich immer wieder: Man trifft Leute, die Gleiches erlebt haben, weswegen wir uns sofort auf einer anderen Ebene treffen. Ich fรผhle mich mit ihnen so verbunden, dass ich die Arbeit einer Selbsthilfegruppe gern รผbernehme. Schon der Austausch der Erlebnisse und Erfahrungen mit anderen ist eine groรe Hilfe: Es schafft ein tiefes Gefรผhl der Verbundenheit! Und das wiederum ist das beste Mittel gegen Ausgrenzung.
Was ist euer erfolgreichstes Angebot fรผr junge Erwachsene?
Der absolute Hit ist unser Jahrestreffen, zu dem wir meistens in Berlin zusammenkommen. Gerade weil unser Verein so klein ist, weil unsere Erkrankung so selten ist, kann man das eigentlich gar nicht mehr Vereinstreffen nennen. Es ist ein richtiges Familientreffen mit entfernten Verwandten, auf dem wir uns jรคhrlich wiedersehen.
Wie sieht die Junge Selbsthilfe bei Dir konkret aus?
Wir sind neu und im Aufbau, denn zum ersten Mal seit Vereinsgrรผndung haben wir รผberhaupt junge Erwachsene, die es geschafft haben in dieses Alter zu kommen und die wie ich aktiv etwas zur Jungen Selbsthilfe beitragen wollen und kรถnnen.
Auf dem Treffen hat jeder von uns aus seinem Leben mit der Krankheit erzรคhlt. Das sollte nicht nur die eigene Motivation zur Selbsthilfe steigern, sondern dient vor allem den Eltern, die zu den Veranstaltungen mit kleinen Kindern kommen und darauf hoffen, auch irgendwann einmal Kinder in dem Alter zu haben.
Vorher hatten wir auf den Jahrestagungen ein zusรคtzliches Angebot fรผr die Jugendlichen, jetzt aber gibt es ein richtiges Programm speziell fรผr junge Erwachsene. Dafรผr laden wir zum Beispiel Psychologen und Expert:innen ein, die Themen wie Arbeit, Beruf mit Behinderungen spezifisch fรผr uns aufbereiten.
Welche Angebote machst Du fรผr die Junge Selbsthilfe?
Das Wichtigste ist immer der persรถnliche Kontakt. Bei so einer sehr seltenen Erkrankung mit 10 bis 20 Jugendlichen ist es natรผrlich einfach, die Leute einzeln anzuschreiben und zu fragen, wie es so lรคuft, mal zu gucken, was sie so treiben. Schwieriger wird es, die Leute zu motivieren, sich zu treffen. Deswegen hole ich sie dort ab, wo sie sich bewegen. Ich spiele zum Beispiel gerne Videospiele und habe darรผber auch den einen oder anderen fรผr die Selbsthilfe gewinnen kรถnnen. Ich habe Leute angeschrieben und gefragt: „Hey, wie witzig, du spielst ja das gleiche Spiel, dann lass uns doch heute Abend einfach mal eine Runde zocken“, – ich mรถchte behaupten, dass auch das schon eine Form der Selbsthilfe ist. Man muss sie ja nicht zu Events zwingen. Wir stehen zwischendrin mit unserer WhatsApp-Gruppe und durch einen Discord-Kanal in Verbindung und ich richte Zoommeetings fรผr uns aus. Auรerdem arbeite ich als Transitionscoach, eine Ausbildung des Kindernetzwerk, die sehr gut ankommt und die ich oft anwenden kann.
Sie ist besonders hilfreich, wenn es um Probleme in der Pubertรคt geht: „Meine Eltern hรคngen so auf mir, wie kann ich mich davon freier machen? Wie kann ich meine Arzttermine selbst koordinieren?“ Viele solcher Fragen kenne ich aus der eigenen Erfahrung und kann dank der Ausbildung auch fachliche Hilfe leisten.
Wie sieht die Zukunft der Jungen Selbsthilfe fรผr Dich aus?
Fรผr die Zukunft wรผrde ich mir zwar wรผnschen, dass sich junge Betroffene nicht nur um ihre eigene Erkrankung kรผmmern, sondern auch fรผr Lรถsungen kรคmpfen, die rund um eine seltene Erkrankung gebraucht werden – zum Beispiel fรผr eine bessere medizinische Versorgung. Dafรผr mรถchte ich gern den Weg fรผr die, die nach mir kommen, bereiten. Aber ein politisches Interesse kann man leider nicht bei allen voraussetzen, vor allem nicht, wenn die Betroffenen erst einmal um Selbsterhaltung, um das รberleben kรคmpfen.
Wenn ich mit meiner Arbeit einem anderen Menschen helfen kann, damit es ihm besser geht, dann ist das der wichtigste Schritt der Jungen Selbsthilfe.
(Das Interview fรผhrte das Kindernetzwerk, ein Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen mit seltenen und chronischen Erkrankungen und Behinderungen. Das Interview wurde anlรคsslich des internationalen Aktionstags der Seltenen Erkrankungen gefรผhrt, der seit 2008 existiert und fรผr Chancengleichheit in Diagnostik und Therapie wirbt. Weltweitsetzen sich Selbsthilfevereine und
Patientenorganisationen fรผr eine bessere medizinische Versorgung fรผr die sogenannten „Waisen der Medizin“ ein, da es fรผr viele der diagnostizierten seltenen Krankheiten noch keine Medikamente gibt.)
Das Kindernetzwerk ist der Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen. Wir informieren rund um den Versorgungsalltag der Selbsthilfe mit aktuellen Nachrichten. Fรผr unsere rund
250 Mitgliedsorganisationen / Institutionen und 650 Einzelmitglieder sowie 220 Kliniken und Einrichtungen bieten wir ein starkes Netz, teilen Informationen, Nachrichten und Termine, bereiten wichtige Themen auf und stellen sie zur Diskussion. Daher ist es uns wichtig, auch diese digitalen Angebote mitzuentwickeln und gut im Blick zu haben.
Wir helfen Ihnen gern bei Interviews mit den Zitatgeber:innen und unterstรผtzen Sie bei der Recherche von Protagonist:innen.
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Bildquelle: ยฉ Kongenitaler Hyperinsulinismus e.V.