Wie mein Hobby zum zweiten Standbein wurde oder wie ich das Ei des Kolumbus entdeckte
Einerseits leite ich die Buchhaltung eines großen internationalen Konzernes. Andererseits liebe ich Bücher anderer Art: Bei mir türmen sich historische Romane von englischsprachigen Autoren, ich bin ein großer Fan, keine simplen Herz-Schmerz-Storys, sondern unterhaltsamer und gut recherchierter Geschichtsunterricht muss die Quintessenz sein. An einem gemütlichen Lese-Sonntag im Bett, Kaffee und ein Marmeladenbrötchen in der Hand, kam mir eine Idee. Warum sollte ich meine inzwischen große Kennerschaft, was historische Romane angeht, nicht mit anderen teilen? Ein eigener Blog mit Rezensionen zum Nachlesen und Hören! Als hätte ich das Ei des Kolumbus entdeckt, sprang ich aus dem Bett und setzte mich sofort an den Computer, um das Konzept zu entwickeln. Wer weiß, was aus diesem Blog werden könnte, vielleicht sogar ein eigener Youtube-Channel, der Buchempfehlungen für ein ganz bestimmtes Genre auf ein neues Level holt. Den Sonntag verbrachte ich damit, alles was mir dazu in den Kopf kam, zu strukturieren und als Test eine kleine Buchbesprechung vorzubereiten. Mit dem Diktiergerät und dem fertigen Text ging ich auf die Terrasse, das leise Vogelgezwitscher passte genau zum Roman, in dem es idyllisch begann und wo schon bald die schweren Eisenschwerter in einer Schlacht Funken schlugen. Ich spielte es Freunden vor, von denen ich wusste, einen Reinfall würden sie mir durch die Blume um die Ohren hauen. Genau das brauchte ich, eine ehrliche Kritik.
Inzwischen sind fünf Jahre vergangen, aus einer Buchkritik sind mehrere hundert geworden. Postcasts werden jeden Monat tausendfach abgerufen. Das Konzept schlug ein wie eine Kanonenkugel in eine mittelalterliche Burg, ich nahm meinen Blog in Besitz. Das Radio und überregionale Tageszeitungen berichteten, meine Pressearbeit funktionierte. In all der digitalen Flut, lauschen die Menschen wieder gern dem gesprochenen Wort, noch dazu, wenn dieses sie über die Lust an guten Romanen informiert. Meine Leidenschaft dafür ist offenbar ansteckend und meine Einschätzung gefragt.
Andere Blogs zogen schnell nach, was in Ordnung ist, denn ich fühle mich als unverwechselbares Original. Als solches werde ich auch zu Lesungen eingeladen, und reise dafür in Länder, in denen die Romane spielen. London war kurz vor Weihnachten eine Station, herrlich die faszinierende Atmosphäre gerade in der dunklen Jahreszeit dort zu erleben. Ich hörte förmlich das Rascheln der kostbaren viktorianischen Kleider und die Hufe der Kutschpferde. In einem bekannten privaten Literatursalon im Londoner Westend nahm ich drei Neuerscheinungen unter die Lupe, was sehr gut ankam.
Nicht zu vergessen, mit der Arbeit für den Literaturblog nahm auch meine Redegewandtheit und Zufriedenheit im Job zu. Ergebnisse kurz und knapp, aber doch unterhaltsam vor Publikum auf den Punkt zu bringen, ging mir leichter von der Hand. Das fiel natürlich auch im Konzern auf und immer häufiger wurde ich gefragt, etwas zu präsentieren. Bestimmt belächeln mich viele im Konzern und bis heute höre ich immer wieder ungefragt Kommentare von Kollegen, die sie sich besser sparen könnten. Ich habe gelernt, darüber zu stehen, lies mir meine Nebentätigkeit genehmigen und gehe offen damit um.
Ich war auch bei der Arbeit viel ausgeglichener und zufriedener, da ich meine ganz unterschiedlichen Seiten ausleben konnte.
Die Zeit, die ich für meine Leidenschaft aufbringe, frisst meine ganze Freizeit, ist aber jede Sekunde wert. Ich versuche es nicht mehr nur allen anderen recht zu machen, sondern auch bewusst nach mir und meinen Bedürfnissen zu schauen. Darüber hinaus wurde aus meiner Nebenbeschäftigung auch eine Einkommensquelle, die mir meine Reisen finanziert.
Aus „Blondinen im Management“ von Heidi Stopper und Jane Uhlig.