Ulrich Wickert steht für viele vor allem für politischen Qualitätsjournalismus und Nachrichten. Doch seine Leidenschaft liegt in einem anderen Bereich. Eigentlich habe er Kultur in seinem Leben immer spannender gefunden als Politik, sagt der 79-Jährige, den Millionen bis heute als «Mr. Tagesthemen» der ARD kennen, der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.
Mit dem Fahrrad ist der Moderator und Buchautor für das Gespräch zum Hamburger Literaturhaus nahe der Außenalster gekommen. Im hanseatisch eleganten Freizeitlook. Wickert lebt mit seiner Familie – der Verlagsmanagerin Julia Jäkel und seinen zehnjährigen Zwillingen in Hamburg und Südfrankreich. Am Freitag (2.12.) wird er 80 Jahre alt.
Wickert hat in seinem Leben schon viel von der Welt gesehen. Geboren wurde er in Tokio als Sohn des Diplomaten, Kunsthistorikers und Schriftstellers Erwin Wickert. Der welterfahrene, musische Vater habe ihn geprägt, sagt Wickert, der unter anderem in Heidelberg und Paris zur Schule ging. Was versteht er unter Kultur? «Kultur findet für mich immer dann statt, wenn eine Entwicklung weitergeht. Man kann Kultur wohl ganz simpel definieren als das, was grundlegend wichtig ist im Zusammenleben», antwortet der Mann, der Werke wie «Das Buch der Tugenden» geschrieben hat. Er fügt hinzu: «Man spricht ja auch bei der Landwirtschaft von Kultur – Weizen und Wein haben sich entwickelt, weil Leute sich Mühe gegeben haben. Das gleiche gilt für Käsesorten, für Brot.»
Gespräche über das Menschsein
Selbst als Journalist habe er Filme über den Philosophen Herbert Marcuse (1898-1979) und den Dramatiker Eugène Ionesco (1909-1994) gedreht, erinnert Wickert. «Weil ich mit ihnen über das Menschsein in dieser Gesellschaft reden konnte. In der Politik geht es ja meist um kurzfristigere Fragen – auch wenn die wichtig sind.»
Ursprünglich habe er sowieso, wie sein Vater, Diplomat werden wollen. Daher studierte er Jura in Bonn, außerdem politische Wissenschaften in Connecticut, USA. «In Amerika habe ich diskutieren gelernt. Und in Bonn dann mit anderen im AStA und im Studentenparlament gegen einen Ex-Nazi an der Uni protestiert – Aktionen gemacht und Flugblätter verteilt», sagt Wickert, der sich auch mit seinem Nazi-Großvater und dem Vater als Mitläufer auseinanderzusetzen hatte. Und er betont: «Das ist alles lange vor dem Jugendrevolte-Jahr 1968 passiert.»
Bald sei ihm klar geworden, dass das Leben zu viele Möglichkeiten biete, um Beamter zu werden, erklärt der 79-Jährige schmunzelnd. Durch Zufall landete er 1969 beim WDR-Fernsehen mit dem Politmagazin «Monitor» und dessen Gründer und Moderator Claus Hinrich Casdorff (1925-2004). «Learning by doing. Casdorff war ein guter Lehrmeister – er hat uns das Machen beigebracht», kommentiert Wickert, der wenig später zu den Präsidentschaftswahlen nach Paris geschickt wurde, diese Ausbildung. 1977 ging er als ARD-Korrespondent nach Washington, D.C.
Marke «Mr. Tagesthemen»
Und zum 1. Juli 1991 wurde der Weitgereiste – auf Wunsch seines legendären Vorgängers Hanns Joachim Friedrichs (1927-1995) – Erster Moderator der Spitzen-Nachrichtensendung «Tagesthemen» in Hamburg. Bis 2006 im wöchentlichen Wechsel mit Sabine Christiansen, später mit Gabi Bauer und Anne Will. Zu seinem Markenzeichen geriet der Gruß «…einen angenehmen Abend und eine geruhsame Nacht» am Ende der Sendungen. Zu seinem Abschied erklärte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): «Ich will Ihnen stellvertretend für viele Dank sagen für 15 Jahre „Tagesthemen“ und ihre hervorragende journalistische Arbeit.» Steinmeier, heute Bundespräsident, war der letzte Interviewpartner des populären Moderators gewesen.
Bücher gehören für Wickert zum kulturellen Grundverständnis, macht er deutlich. Schon früh wird er auch selbst zum Autor. Als Politikjournalist erlebte Wickert, wie oft gegen die Regeln verstoßen wird. Eine Antwort des engagierten Kulturmenschen darauf sind auch seine mehrfach zu Bestsellern geratenen – und teils kontrovers diskutierten – Bücher. So erlebte «Der Ehrliche ist der Dumme: Über den Verlust der Werte» von 1994 in diesem Jahr die dritte Auflage.
Mit Lastern und Verbrechen in der Gesellschaft setzt sich Wickert seit 2003 auch erfolgreich in seinen in Frankreich angesiedelten Krimis auseinander. Gerade ist der siebte Band der Reihe um den allen Genüssen zugetanen, dabei unbestechlichen Untersuchungsrichter Jacques Ricou erschienen («Die Schatten von Paris»). «Die Fälle beruhen alle auf der Realität», betont der Verfasser. Auch ein Kinderbuch hat der dreifache Vater geschrieben («Ritter Otto, eine Prinzessin, eine Hexe, ein Drache und ganz viel mehr»).
Für junge Menschen in ärmeren Ländern setzt sich Wickert, der sein Privatleben gern bedeckt hält, ebenfalls ein – bei der Hamburger Organisation Plan International Deutschland. «Ich finde, Kinder sind die schwächsten, denen müssen wir helfen», sagt er. «Plan International hat einfach hervorragende Programme. Eines der wichtigsten ist, Mädchen zu ermöglichen, zur Schule zu gehen, damit sie später eine Arbeit finden. Außerdem wollen wir das Bewusstsein vermitteln, dass Kinder Rechte haben – und dass Erwachsene wissen, dass Kinder Rechte haben.»