Mittwoch, 18 Dezember 2024
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Zertifizierte Phagen-Forschung in Braunschweig

Das Leibniz-Institut DSMZ erhรคlt als erstes Institut in Deutschland GMP-Zertifikat nach Arzneimittelgesetz fรผr die DNA-Sequenzierung zur Erforschung therapeutischer Phagen.

Zertifizierte Phagen-Forschung

Erstmalig erhielt mit dem Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH ein wissenschaftliches Institut in Deutschland die GMP-Zertifizierung zur Identitรคtsprรผfung von Phagen-Prรผfprรคparaten zur Anwendung am Menschen gemรครŸ ยง 64 Absatz 3f Arzneimittelgesetz. Das Leibniz-Institut DSMZ kann somit die DNA-Sequenzierung zur Identifizierung von Phagen in Projekten, die an einem therapeutischen Einsatz von Phagen forschen, durchfรผhren. Als zustรคndige รœberwachungsbehรถrde bestรคtigte das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig die GMP-Zertifizierung am zweiten August 2022. Die Behรถrde fรผr Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz zertifiziert, dass das Leibniz-Institut DSMZ die Anforderungen der „Guten Herstellungspraxis“ (Good Manufacturing Practice = GMP) fรผr die DNA-Sequenzierung zur Identitรคtsprรผfung in Phagenprojekten erfรผllt. Damit gehรถrt das Leibniz-Institut DSMZ zu den wenigen Einrichtungen weltweit, die dazu befรคhigt und anerkannt sind. Die DNA-Sequenzierung zur Identifizierung von Phagen ist die Grundlage der weiterfรผhrenden Forschung und kann jederzeit als Identitรคtskontrolle einer Phagenprรคparation dienen.

Innerhalb von zwei Monaten ist es der Arbeitsgruppe „DNA und Sequenzierung“ der DSMZ-Abteilung „Bioinformatik & Datenbanken“ gelungen, die Inspektion des Gewerbeaufsichtsamts im Rahmen der Arzneimittelรผberwachung vorzubereiten und im Anschluss erfolgreich zu absolvieren. Das Zertifikat bestรคtigt, dass die DSMZ fรผr die Sequenzierung zur Identitรคtsprรผfung von Phagen nach den GMP-Richtlinien arbeitet und von Arzneimittelherstellern beauftragt werden kann. Der Bedarf zur GMP-Zertifizierung entstand aus den zwei Forschungsprojekten „PhagoFlow“ und „Phage4Cure“ der von Dr. Christine Rohde geleiteten Arbeitsgruppe „Klinische Phagen und gesetzliche Regulation“ der DSMZ-Abteilung „Bioressourcen fรผr Bioรถkonomie und Gesundheitsforschung“ unter der Leitung von Prof. Dr. Yvonne Mast. „Das GMP-Zertifikat kann auch รผber den Einsatz in den beiden Projekten hinaus verwendet werden und zeichnet die DSMZ als bisher einziges Institut in Deutschland aus, das diese Dienstleistung fรผr Bakteriophagen unter GMP-Bedingungen anbietet.“, erlรคutert die DSMZ-Justiziarin Dr. Hilke Pรผschner. In den wissenschaftlichen Projekten mit dem Ziel, Phagen als zugelassenes Arzneimittel zu etablieren, entstand der Bedarf einer GMP-konformen Sequenzierung zur Charakterisierung und Freigabe von therapeutischen Phagen. Gemeinsam mit dem Fraunhofer ITEM in Braunschweig, das im Rahmen der beiden oben genannten Forschungsprojekte therapeutische Phagen herstellt, wurde nach Erkennen des dringenden Bedarfs an der Erstellung einer geeigneten Standardarbeitsanweisung, der Vorbereitung der Infrastruktur in den Laboren und Analytikrรคumen sowie einem nachvollziehbaren Proben- und Verbrauchsmaterialmanagement gearbeitet.

Die durch Drittmittel gefรถrderte und institutionell stark fokussierte Phagenforschung an der DSMZ begann ab 2005/2006. Heute gehรถrt zur weltweit vielfรคltigsten Bioressourcensammlung der DSMZ auch die DSMZ-Phagenbank mit mehr als 1.000 Phagen. Aus Anlass der GMP-Zertifizierung hat der Leiter der Stabsstelle Presse und Kommunikation PhDr. Sven-David Mรผller ein Interview zu Bakteriophagen, die wahrscheinlich die hรคufigste Daseinsform auf der Erde sind, mit Dr. Christine Rohde und Dr. Johannes Wittmann gefรผhrt.

Was sind Bakteriophagen?
Bakteriophagen oder kurz „Phagen“ sind Viren, die nur Bakterien erkennen und mit ihnen interagieren kรถnnen, sodass sie im nรคchsten Schritt in die Bakterienzellen eindringen und sich darin vermehren kรถnnen, um dann die Bakterien schlussendlich zu lysieren. Da Phagen spezifisch nur innerhalb jeweils einer Bakterienart ihre Zielzellen durch Rezeptoren erkennen und dies Voraussetzung fรผr die nachfolgenden Schritte des lytischen Zyklus ist, gibt es in der Natur eine unendliche Zahl und Vielfalt von Phagen. Gegen fast alle Bakterien, die man als „Selektions-Kรถder“ benutzt, kรถnnen Phagen aus natรผrlichen Standorten gefunden werden. Sie sind auch die natรผrlichen Regulatoren der Bakterienmasse der gesamten Biosphรคre und gehรถren beispielsweise als Bestandteil des Viroms auch in unserem Mikrobiom fest in unser Leben.

Wie kรถnnten Bakteriophagen eingesetzt werden?
รœberall da wo Bakterien unerwรผnscht sind, in der Human- und Tiermedizin, in der Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung. Das letztgenannte Anwendungsgebiet ist das einzige rein prรคventive, dagegen stellt die Anwendung in der Medizin, aber auch in der Landwirtschaft, besonders der Nutztierhaltung, eine Alternativoption zur Antibiotikaanwendung dar. Aufgrund ihrer Wirtsspezifitรคt kรถnnen Phagen gezielt eingesetzt werden, wenn die bakteriellen Ziele bekannt sind, eine Voraussetzung. Hinsichtlich der Form der Anwendung gibt es im Prinzip keine Grenzen, solange die Phagen nicht durch Hitze, Sรคure, Desinfektionsmittel oder Scherkrรคfte geschรคdigt werden.

Kรถnnen Bakteriophagen bei antibiotikaresistenten Keimen effektiv wirken?
Ja, wenn die Phagen nachgewiesenermaรŸen zu den Keimen passen, also diese effektiv lysieren kรถnnen. Das muss vorher im Labor in verschiedenen Experimenten beurteilt werden, auch wenn wir damit nicht die Phagenwirkung im Patienten vorhersagen kรถnnen. Ob ein Keim antibiotikaresistent oder -sensitiv ist, ist nicht ausschlaggebend, sondern viele Aspekte der Phagenbiologie mรผssen vor Phagenanwendung untersucht worden sein, diese Aspekte betreffen Sicherheit und Effizienz in der Anwendung, denn es gibt bei Phagen auch einige unerwรผnschte Eigenschaften, die durch Analysen der Phagengenome ausgeschlossen werden kรถnnen und mรผssen.

Wie viele Bakteriophagen werden in der DSMZ-Phagensammlung beforscht und gesammelt?
Zurzeit sind es etwas mehr als 1.000, die Sammlung wรคchst besonders durch die Forschungsprojekte. Beforscht werden aber nicht alle Phagen, der Forschungsbedarf richtet sich meist nach den Fragestellungen der Projekte oder nach spontanen Fragestellungen innerhalb der Arbeitsgruppe oder es ergeben sich Aspekte durch externe Anfragen. Die Phagensammlung ist jedenfalls mittlerweile so umfangreich, dass sie viel „Spielmasse“ bietet.

An welchen Bakteriophagen-Forschungsprojekten sind Sie momentan in welcher Form beteiligt?
Wir sind in vier anwendungsbezogenen Forschungsprojekten der Humanmedizin beteiligt und zwar in allen Fรคllen im Forschungs- und Entwicklungs-Bereich des mikrobiologischen Labors und erforschen dabei die Phagenbiologie mit allen uns mรถglichen Verfahren zur Charakterisierung der Phagen, inklusive Sequenzierung und Analyse der Genome (unter anderem Identifizierung von Antibiotikaresistenz-Genen, Virulenzfaktoren oder Lifestyle): Phage4Cure ist eine klinische Studie und die Arbeiten des Gesamt-Konsortiums sind so weit gediehen, dass das Vorhaben zu Beginn 2023 in die klinische Phase I geht. Phagen werden an der Charite Research Organisation GmbH Berlin inhalativ gegen Pseudomonas aeruginosa bei gesunden Probanden und Patienten verabreicht. Im Projekt PhagoFlow wird die Praktikabilitรคt der individuellen Phagenanwendung an einzelnen Patienten am Bundeswehrkrankenhaus Berlin getestet und soll die Voraussetzungen in Deutschland aufzeigen. Ein DZIF-finanziertes klinisches Projekt, IDEAL-EC, ist zunรคchst nach Plan in den Laboren der DSMZ abgeschlossen worden, dabei wurde ein Phagencocktail gegen bestimmte pathogene E. coli entwickelt und seine Effizienz erforscht, durchgefรผhrt von der Dr. med. Anika ClaรŸen vom Universitรคtsklinikum Kรถln. Der Phagencocktail wird an weiteren klinischen Standorten in prรคklinischen Versuchen auf seine Effizienz getestet. Ebenso von DZIF finanziert ist das im Juli 2022 gestartete Projekt EVREA-Phage. Hier soll ein Phagencocktail gegen Enterococcus faecium (Vancomycin-resistente Stรคmme) entwickelt werden, der spรคter insbesondere immunsupprimierten hรคmatologischen Patienten zur Vermeidung von Blutstrominfektionen verabreicht werden soll. E. faecium ist in seinen multiresistenten Varianten in Deutschland stark sowie zunehmend verbreitet und zรคhlt zu den besorgniserregenden Bakterien der WHO-Prioritรคtsliste. Ohne medizinische Zusammenhang ist die DSMZ Teil eines Schwerpunktprogramms zur Erforschung verschiedener Aspekte von Phagenbiologie (SPP2330 – „New concepts in prokaryotic virus-host interaction“), die AG Phagen unterstรผtzt dort als infrastrukturelles Z-Projekt die einzelnen Forschungsprojekte des Verbunds mit etablierten Technologien und Bioressourcen. Zudem dient sie natรผrlich auch als Hinterlegungsstelle der im SPP isolierten Bioressourcen und sorgt damit zusammen mit dem Aufbau einer Virus-gewidmeten Datenbank fรผr die Nachhaltigkeit des SPPs.

Wie sehen Sie die Zukunft der Bakteriophagenforschung?
Die Phagenforschung hat mit Sicherheit sehr groรŸe Zukunft. Es werden aber zunehmend Fragen hinzukommen, fรผr die die Zeit aktuell insbesondere aus regulatorischer Sicht noch nicht reif ist. Als Beispiel kรถnnen gentechnisch verรคnderte Therapiephagen genannt werden oder die Systembiologie. Auch in der Zukunft werden nicht nur anwendungsbezogene Themen wichtig sein, sondern auch Fragen der Grundlagenforschung, um die Phage-Wirt- Wechselwirkung und das Zusammenspiel von Struktur, Funktion und Regulation besser zu verstehen. Aufgrund der Komplexitรคt und Diversitรคt der Phagen werden vermutlich die offenen Fragen nie versiegen. Jedes unserer Forschungsprojekte verdeutlicht fast tรคglich diese Komplexitรคt und Diversitรคt, aber: „Wer nicht phagt, der nicht gewinnt!“.

Unter welchen Voraussetzungen kรถnnen Bakteriophagen bei Patienten eingesetzt werden und wann rechnen Sie damit?
Dies braucht eine definierte Infrastruktur, die zunรคchst auf einem gut etablierten Forschungs und Entwicklungs-Sektor mit einer umfangreichen Phagenbank und Forschungsmรถglichkeiten aufbaut. Im nรคchsten Schritt mรผssen die Phagen, die als Therapiephagen in Frage kommen, durch fachkundige Herstellungslabore aufgereinigt werden. Das Arzneimittelgesetz darf dabei nicht umgangen werden, es beinhaltet zurzeit noch als Qualitรคtskriterium bei Phagen die GMP-Herstellung jedes einzelnen Phagenprรคparats in der Humanmedizin. Da wir aber in der Expertengemeinschaft erkannt haben, dass eine flexible Vielzahl von Phagen pro Bakterienart nรถtig ist, die idealerweise als Bank bereits gereinigter Phagen fรผr klinische Anwendung bereitsteht, besteht an dem Punkt noch ein groรŸes Problem, das nur รผberwunden werden kann, wenn nicht zwingend GMP im gesamten Aufreinigungsprozess nรถtig ist sondern ein Phagen-angepasstes Qualitรคtsprรผfsystem, das letztlich die individuellen magistralen Phagenmischungen fรผr einen Patienten zeitnah erlaubt.

Werden Bakteriophagen auch bei Tieren eingesetzt?
Neben der Anwendung in der Humanmedizin wurde natรผrlich auch das Interesse am Einsatz von Phagen in der Veterinรคrmedizin und auch Lebensmittelindustrie geweckt, um prรคventiv beispielsweise zoonotische Pathogene zum Beispiel in Stรคllen oder bei der Lebensmittelverarbeitung zu reduzieren. Aber auch der Einsatz von Phagen zur therapeutischen Behandlung von akuten Infektionen bei Haus- und Nutztieren wird immer interessanter.

Die DSMZ ist das grรถรŸte Bioressourcenzentren weltweit. Die Sammlung umfasst derzeit รผber 82.000 Bioressourcen.

Firmenkontakt
Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen
PhDr. Sven-David Mรผller, M.Sc.
InhoffenstraรŸe 7 B
38124 Braunschweig
0531-5312616300
sven.david.mueller@dsmz.de
http://www.dsmz.de

Die Bildrechte liegen beim Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen.

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