In ihrem erfolgreichsten Roman «Das Geisterhaus» spielen Geisterglaube und Magie eine überragende Rolle. Ganz frei davon ist Isabel Allende auch in ihrem Alltag nicht. Jedenfalls ist für sie der 8. Januar bis heute ein magischer Tag.
Am 8. Januar 1981 formulierte sie die ersten Worte ihres späteren Bestsellers. Zunächst war es nicht mehr als ein Brief, in dem sie sich von ihrem sterbenden Großvater verabschiedete. Nach und nach entwickelte sich daraus eine voluminöse Familiengeschichte, die der Beginn einer einzigartigen Schriftstellerinnenkarriere werden sollte.
In Erinnerung an diesen besonderen Moment in ihrem Leben beginnt sie jeden neuen Roman stets an einem 8. Januar, wie sie einmal verriet. Auch ihr aktueller Roman «Violeta» dürfte daher an einem 8. Januar begonnen worden sein. In Deutschland ist das Buch kurz vor dem 80. Geburtstag der Schriftstellerin erschienen, den sie am 2. August feiert.
Außergewöhnliche Familiengeschichte als Grundlage
In diesem Werk wie in so vielen anderen ihrer weit über 20 Bücher verarbeitet Isabel Allende Teile ihrer außergewöhnlichen Familiengeschichte. In dem Fall ist es die Biografie ihrer geliebten Mutter Panchita, mit der sie bis zu deren Tod 2018 eine innigliche Korrespondenz führte. Die Romanheldin Violeta ist wie ihr Vorbild in der Wirklichkeit schön, begabt und tatkräftig, mit dem Unterschied, dass sie sich dank ihrer Geschäftstüchtigkeit eine finanzielle Unabhängigkeit und Freiheit erkämpft, die Allendes zweimal verheiratete Mutter in ihrem langen Leben nie besaß.
Der Roman umspannt ein ganzes Jahrhundert, eingefasst von zwei Pandemien. Er beginnt im Geburtsjahr Violetas 1920, in dem weltweit die Spanische Grippe grassiert, und endet 2020 mit der Coronaepidemie. Am Ende ihrer Tage blickt Violeta in einem langen Brief an ihren Lieblingsenkel Camilo auf ihr turbulentes Leben als Ehefrau, Unternehmerin und Mutter zurück. Die Schauplätze sind vor allem Chile und die USA, die beiden prägenden Länder der 1942 in Peru geborenen Autorin. Violeta ist zwar einerseits stark und kämpferisch, verhält sich aber gerade in der Liebe nicht immer wirklich konsequent und emanzipiert. Sie muss sich sogar erst von einem gewalttätigen Mann befreien.
Wo sie die beste Zeit ihres Lebens verbracht hat
Leidenschaftliche, durchaus widersprüchliche Frauen, die sich in einer Machowelt behaupten müssen, sind das Kennzeichen der bekennenden Feministin Allende. Prägend für die aus einer Diplomatenfamilie stammende Chilenin, die in verschiedenen Ländern aufwuchs, war ihre Zeit als junge Redakteurin bei «Paula», der einzigen feministischen Zeitung Chiles. Ihre ebenso streitbaren wie heiteren Jahre dort bezeichnete Allende einmal als die beste Zeit ihres Lebens.
Diese fruchtbare Periode endete mit dem gewaltsamen Sturz und Tod des Präsidenten Salvador Allende, eines Cousins ihres Vaters, und dem Beginn der Militärdiktatur 1973. Zwei Jahre nach dem Militärputsch ging Isabel Allende – wie die meisten Mitglieder ihrer weit verzweigten Familie – mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern ins Exil.
In Venezuela entstanden ihre ersten drei Romane «Das Geisterhaus», «Von Liebe und Schatten» sowie «Eva Luna». 1988 heiratete Isabel Allende in zweiter Ehe den amerikanischen Romancier und Rechtsanwalt William C. Gordon und lebt seitdem in Kalifornien. Das Zusammenleben in einer Patchworkfamilie war allerdings nicht immer ungetrübt. Zwei Stiefkinder waren drogensüchtig und starben an einer Überdosis, ihr Mann wurde daraufhin depressiv. Die größte persönliche Tragödie für die Schriftstellerin war allerdings der frühzeitige Tod ihrer Tochter Paula im Jahr 1992. Sie starb an den Folgen einer Stoffwechselerkrankung. Allende hat diesen schweren Verlust in einem berührenden Buch verarbeitet.
«Das Geisterhaus» wurde hymnisch gefeiert
«Das Geisterhaus» wurde bei seinem Erscheinen als Meisterwerk des «magischen Realismus» hymnisch gefeiert und auch erfolgreich verfilmt. Später haben sich Teile des Feuilletons von der Erfolgsautorin abgewandt und ihr eine «Verpilcherisierung» vorgeworfen. Man hielt ihr einen Hang zur Sentimentalität, ja zum Kitsch vor. Aber dieses Verdikt ist in seiner Absolutheit und Verallgemeinerung ungerecht. Zwar mag man dem neuen Roman eine gewisse Weitschweifigkeit vorwerfen, doch zeigt sich Allende vor allem im ersten Teil wieder als jene fantasievolle, sinnenfrohe und quicklebendige Erzählerin, die nicht zufällig eine riesige weltweite Fangemeinde hat. Mit einer Gesamtauflage von ca. 70 Millionen Exemplaren gilt sie als die erfolgreichste spanischsprachige Autorin der Gegenwart.
Man kann davon ausgehen, dass Isabel Allende ihren 80. Geburtstag in heiterer Gelassenheit begeht, so wie sie sich in ihren jüngsten Interviews präsentierte. Mit 75 Jahren hat sie sich nach der Scheidung von Gordon noch einmal verliebt. Roger Cukras war ursprünglich ein Fan von ihr, der ihr E-Mails schickte. Dann wurde er ihr dritter Ehemann. Die Autorin hält ihr Alter für «ein kostbares Geschenk». Und natürlich wird sie weiter schreiben. Der nächste 8. Januar wartet schon.
– Isabel Allende: Violeta, Suhrkamp Verlag, Berlin, 400 Seiten, 26,00 Euro, ISBN 978-3-518-43016-3.