Harald Schmidt könnte sofort wieder anfangen. «Wenn Sie mich morgen um 16 Uhr anrufen, kann ich Ihnen um 20 Uhr ’ne Sendung machen, das steht außer Frage.» Nicht dass er das wollte: Er hat mit dem Fernsehen abgeschlossen, wie er betont. Aber er könnte es. Fakten präsent, Pointen parat.
Sonnengebräunt vom Urlaub und sehr relaxt lehnt Schmidt in einem Knautschsofa in der Club Lounge des Excelsior-Hotels, seiner bevorzugten Interview-Location direkt neben dem Kölner Dom. Er trinkt Milchkaffee und knabbert hin und wieder ein paar Nüsse. Bis vor kurzem hatte er noch einen weißen Vollbart – «Papa Schlumpf» und «Gandalf auf Ecstasy» wurde er deshalb genannt. Jetzt ist der Bart wieder ab: «Ich muss Ihnen nicht erklären, wie verzweifelt die Mediensituation ist. Da ist man dankbar, wenn jemand plötzlich mit Bart kommt, der bisher keinen hatte.» Und umgekehrt.
Ludwig XV. in Wien
Wenige Stunden zuvor ist Schmidt aus Wien eingeflogen, wo er derzeit an der Volksoper probt. Ab 3. September ist er in der Operette «Die Dubarry» in der Rolle von König Ludwig XV. von Frankreich zu sehen. Vorher feiert er aber erstmal Geburtstag: An diesem Donnerstag (18. August) wird er 65. Und in acht Monaten ist er offiziell Rentner: 272 Euro wird er dann vom Staat beziehen. «Die kassier ich auch knallhart.»
Zum Ablauf der Geburtstagsfeier hält er sich bedeckt. «Ich mach eine Überraschungsparty. Es kann sein, dass wir im Rahmen von ‚Wir müssen alle sparen‘ nur ein kleines Tischfeuerwerk machen. ‚Rhein in Flammen‘ geht ja nicht, weil kein Wasser mehr da ist.»
Schmidt ist dafür bekannt, sein Familienleben mit Partnerin und fünf Kindern konsequent abzuschirmen. Was er wirklich für ein Typ ist, weiß eigentlich niemand so richtig, denn in der Öffentlichkeit hält er die Rolle des abgeklärten Spötters konsequent durch. Nach dem, was man hört, ist der Privatmann Schmidt ebenso unaufdringlich wie bescheiden.
Late-Night-Show-König
Seine große Zeit waren die Jahre 1995 bis 2003, als seine Late-Night-Show bei Sat.1 lief und Millionen allabendlich darauf warteten, zu erfahren, was Schmidt zu Gerhard Schröder, George W. Bush oder Rudi Völler so einfallen würde. Ein englischsprachiger «Insiderführer durch das deutsche Leben» empfahl seinen Lesern damals, sie sollten in Germany gar nicht erst versuchen, witzig zu sein: «Überlassen Sie das einem gewissen Harald Schmidt.»
«Die Medienlandschaft war damals noch eine völlig andere», resümiert er heute. Smartphones waren noch unbekannt. «Diese Dauerpräsenz wie heute, die gab es noch nicht.» Heute dagegen wird jedes Ereignis im Netz sofort tausendfach kommentiert. «Ich werde ja immer gefragt: ‚Glauben Sie denn, dass Ihre Sendung heute noch funktionieren würde?‘ Das ist so hypothetisch wie ‚Glauben Sie, dass die DDR noch mal ’ne Chance hätte?’» Eine Rückkehr ins Fernsehen schließt er rigoros aus.
Nachrichten auf allen Kanälen
Dennoch ist er der Nachrichten-Junkie aus seiner aktiven Zeit geblieben. Morgens liest er Zeitung und hört Deutschlandfunk. Abends geht’s weiter mit Regionalprogrammen – SWR, WDR – gefolgt von «heute», «heute-journal», «Wirtschaft vor acht», «Tagesschau» und «Tagesthemen». Anschließend guckt er bis drei Uhr morgens Netflix-Serien.
Wann schäft er? «Ich schlafe immer dann, wenn ich müde bin – wie Ronaldo. Powernapping.» Wenn er um 12.30 Uhr kurz wegdöst, ist das eben so. «Macht meine Frau natürlich aggressiv, weil das wirkt schon sehr pflegeheimig. Aber da kann ich keine Rücksicht drauf nehmen.»
Wenn man mit Schmidt über das aktuelle Tagesgeschehen plaudert, brennt er immer noch zuverlässig ein Pointenfeuerwerk ab. «Sie merken: Das Programm ist da», sagt er. «Ich kann es aber nicht in irgendeinem Sender vergeuden.» Stattdessen macht er «elitäre flash performances», wie er es nennt, spontane, improvisierte Einzelvorstellungen im kleinsten Kreis.
Manchmal begegnet ihm auf der Rolltreppe im Flughafen ein Hardcore-Fan, der beteuert: «Ach, dass ich Sie jemals treffe, das ist der Hammer! Früher bei ‚Schmidteinander‘ durfte ich immer aufbleiben.» So jemand bekommt dann unter Umständen auf dem Weg zum Einchecken seine Zwei-Minuten-Privatshow.
Schmidt wurde zu seiner Zeit regelmäßig als «Chefzyniker» oder «Dirty Harry» tituliert. Heute haben im Fernsehen Satiriker wie Jan Böhmermann übernommen. Das sind Leute mit einer klaren politischen Haltung, die durchaus den Anspruch haben, die Welt ein Stück besser zu machen. Es ist fast ein bisschen so, als wären die Zeiten von Dieter Hildebrandt zurückgekehrt, des großen politischen Kabarettisten der 80er Jahre («Scheibenwischer»). Er hatte Schmidt einst angekreidet, in nihilistischer Weise einfach alles zu veralbern.
Ein politisches Bekenntnis im Sinne von «Ich mache mir große Sorgen um…» ist von Harald Schmidt nach wie vor nicht zu erwarten. Hat er angesichts des Klimawandels manchmal Angst um die Zukunft seiner Kinder? «Das werden meine Kinder sicher fachgerecht bearbeiten», sagt er. «Ich habe meinen ‚Fänger im Roggen‘ abgeliefert.» Der Roman «Der Fänger im Roggen» war das Hauptwerk des US-Schriftstellers J.D. Salinger, der nach der Veröffentlichung noch fast 60 Jahre im Verborgenen lebte.
Großer Fan des 9-Euro-Tickets
Schmidt hat gerade seinen Jaguar noch mal durch den TÜV gebracht. Aber er ist auch ein fleißiger Nutzer des 9-Euro-Tickets; nach eigenem Bekunden macht es ihm überhaupt nichts aus, auch mal stehen zu müssen. Die Leute wunderten sich manchmal, wenn sie mitbekämen, dass er öffentliche Verkehrsmittel nutze, aber «wo soll ich denn mitkriegen, wie es draußen aussieht, wenn nicht da?»
In seiner Wahlheimat Köln fühlt sich der in Nürtingen bei Stuttgart aufgewachsene Schwabe rundum wohl. Er hat hier ein schönes Heim im noblen Stadtteil Marienburg, ein Netz von Freunden und Ärzten und seine feste katholische Heimatgemeinde. Denn praktizierender Katholik ist der ausgebildete Kirchenorganist und bekennende Papst-Fan noch immer.
Harald Schmidt ist also einfach da, liest und schaut fern und genießt. Im Gespräch strahlt er eine große Gelassenheit aus. Man hat den Eindruck, dass er einem goldenen Sonnenuntergang entgegenreitet. Und das kann – was seine Fans betrifft – noch sehr lange dauern.