Wenn es um Erinnerungen geht, ist die Sängerin Mary Roos ein wenig zwiespältig unterwegs. «Wenn man älter wird, sind Erinnerungen so wichtig. Dabei erinnert man sich oft ja eher an die schönen Sachen als an die schlechten, gerade im Privaten», sagt Schlagerlegende Mary Roos der Deutschen Presse-Agentur, während sie es sich in einem Sessel des Hamburger Rowohlt-Verlages gemütlich macht.
«An berufliche Dinge erinnere ich mich allerdings gar nicht mehr so. Ich war nie eine, die ganz genau wusste, was 1970 oder 1980 so war. Denn ich lebe nicht im Gestern. Und meine Memoiren wollte ich ohnehin niemals schreiben.» Doch genau das hat die Interpretin von Songs wie «Arizona Man» (1970) und «Aufrecht geh’n» (1984) mit mehr als 60-jähriger Karriere nun doch getan.
Launige Reise durch das Unterhaltungs-Business
Denn «Aufrecht geh’n» heißt auch ihr an diesem Dienstag bei Rowohlt erschienener Erinnerungsband mit dem Untertitel «Mein liederliches Leben». Eine nachdenklich launige Reise auch durch die Unterhaltungsgeschichte mit vielen prominenten Namen. Und natürlich mit Reminiszenzen an ihre selbstironischen, 2019 begonnenen Tourneen zum Thema «Nutten, Koks und frische Erdbeeren» mit dem Kabarettisten Wolfgang Trepper.
Das Buch wurde möglich gemacht durch viel freie Zeit während der Pandemie – und ihre Freundin und Musikerkollegin Pe Werner («Von A nach Pe»). «Sie ist bei mir in Hamburg eingezogen, ich habe gekocht – und sie hat mir ganz wunderbare Fragen gestellt. Weil sie längst recherchiert hatte. Da fiel mir alles sehr genau wieder ein», erzählt die 1949 in Bingen (Rheinland-Pfalz) als Rosemarie Schwab geborene Entertainerin sympathisch plauderfreudig über ihre Ko-Autorin.
Zuvor hatte Werner (62) ihr lebensnahe Hits wie «Unbemannt» und «Stein auf Stein» geschrieben. «Es gibt eine innere Verbindung, wir ticken ähnlich. Und wir beide waren in der Musik Außenseiter», spricht Roos auch gleich einen für sie lange wunden Punkt ihrer von ihr 2019 aus freien Stücken beendeten Karriere an. «Weil wir nicht dem Äußeren entsprachen, wie es damals gewünscht war. Es gab sehr viele blonde, hübsche Mädchen. Ich war immer „die Aparte“, das hat mich sehr genervt», erinnert sich Roos. «Bis ich herausfand, dass das Wort „apart“ eine Auszeichnung ist. Doch ich hatte immer das Gefühl, ich genüge nicht.» Erst als sie ihre erste Fotosession in Frankreich hatte, habe der Fotograf gesagt, «Endlich mal ein Gesicht!». «Da habe ich Selbstbewusstsein bekommen», erklärt die Sängerin.
Ihre Karriere war nicht geplant
Und sie sagt auch: «Wer mich kennt, weiß, dass ich 100-prozentig ein Bauchmensch bin.» So habe sich ihre vielseitige Laufbahn – Roos sang auch Chansons, Kinderlieder und Coverversionen internationaler Popsongs – wie zufällig und eher organisch entwickelt. Meist ohne Manager – «Ich war immer selbstbestimmt!». Aus Gesangseinlagen des kleinen Mädchens im elterlichen Hotel zum Tanztee entwickelte sich mit neun Jahren die erste Platte «Ja, die Dicken sind ja so gemütlich». Der Rest ist Showhistorie und für sie kaum eine große Sache: «Das war für mich alles so selbstverständlich.» Zu ihrer Mentorin entwickelte sich dabei der internationale Star Caterina Valente (91, «Ganz Paris träumt von der Liebe»).
«Ich habe auch nie gefragt, wie viel Gage kriege ich. Wenn ich etwas gerne getan habe, dann habe ich es auch ohne Gage gemacht. Für mich hat das zum Job dazu gehört. Genau wie zu tanzen, Sketche aufzuführen Theater zu spielen und Filme zu drehen. Immer neue Sachen zu tun», sagt Roos, die nie eine Gesangsstunde hatte. «Damals konnte man „Learning by Doing“ machen. Die Künstler bekamen Zeit, ihren Stil zu entwickeln. Mein erster Produzent hat mich im Chor singen lassen – die dritte, vierte Stimme. Bevor ich überhaupt im Beruf Fuß fassen konnte, hatte ich also schon etwas gelernt. Ich habe auch auf Demos gesungen für Stars wie Margot Eskens.» Ihren Durchbruch hatte Roos dank markant warmer Stimme mit «Arizona Man». 1972 errang sie mit «Nur die Liebe lässt uns leben» den dritten Platz beim damaligen Grand Prix d’Eurovision.
«Königin des dauerhaften Erfolgs» nannte man sie Anfang des Jahres in einem TV-Porträt des SWR. Bei alledem nahm die Rheinländerin, die 2017 ein Fährschiff auf ihren Namen taufte, das Leben gern von seiner lustigen Seite. «Wir gingen monatelang auf Tournee – in einem Bus mit Musikern, die das schlimmste Zeug geraucht haben. Von Overstolz bis zu Gauloises. So waren wir schon benebelt, wenn wir ausgestiegen sind», erzählt die Sängerin trocken.
Gastspiele im Pariser «Olympia»
Im Buch schildert sie auch ihre beiden geschiedenen Ehen. Die erste mit dem Franzosen Pierre Scardin, durch den sie auch in dessen Heimat groß Karriere hätte machen können – wochenlang gastierte sie Anfang der 1970er Jahre im Pariser «Olympia». Und die sehr turbulente zweite mit ihrem Kollegen Werner Böhm alias Gottlieb Wendehals (1941-2020, «Polonäse Blankenese»), mit dem sie 1986 Sohn Julian bekam.
Ihren Abschied von der Showbühne meint die große Schwester von Sängerin Tina York (RTL-«Ich bin ein Star – holt mich hier raus!») ernst: «Es wird trotz lukrativer Angebote keine Musiksendung von mir geben, keine neuen Platten.» Erst einmal hat sie ihr Haus renovieren lassen – und dabei selbst Hand angelegt («Ich kann das echt gut»). Heute liest die Künstlerin viel, bewirtet Gäste, plant lange Museumsbesuche. Manchmal nur bereue sie es, ihre Karriere in Frankreich nicht weiter verfolgt zu haben, «aber ich wusste auch, dass ich meine Familie und meine Freunde brauche. Und meine Sprache.»
Gibt es ein Fazit ihrer bisherigen Lebensreise? Die 73-Jährige denkt nicht lange nach. «Alles, was mir passiert ist, habe ich mitgenommen. Und habe mir gedacht, alles ist gut und passiert zur richtigen Zeit», sagt Roos. «Und auch, wenn es zur falschen Zeit war – es ist nichts umsonst.»
Die Autobiografie „Aufrecht geh’n. Mein liederliches Leben“ von Mary Roos erscheint am Dienstag (18. Oktober) im Rowohlt Verlag Hamburg.