ARAG Experte Tobias Klingelhรถfer รผber die rechtliche Seite der Arbeitszeiterfassung
Arbeitszeiterfassung ist nicht neu: Bereits mit der Industrialisierung verbreitete sich die Stempeluhr als Zeitmesser fรผr Beginn und Ende einer Tรคtigkeit. Heute ist aber in vielen Unternehmen die sogenannte Vertrauensarbeitszeit das gewรคhlte Mittel der Arbeitsorganisation. Die Idee dahinter: Nicht die zeitliche Prรคsenz des Arbeitnehmers steht im Vordergrund, sondern die Erledigung der jeweiligen Aufgaben. Auch dabei gilt natรผrlich das Arbeitszeitgesetz, das maximale Arbeitszeiten sowie Pausen und รberstunden regelt. Trotzdem wird dieser Regelung zwangslรคufig das Ende drohen. ARAG Experte Tobias Klingelhรถfer erklรคrt, wie die Arbeitszeiterfassung derzeit geordnet ist und was Arbeitnehmer erwarten kรถnnen.
Wie muss Arbeitszeit aktuell erfasst werden?
Tobias Klingelhรถfer: Unser deutsches Arbeitszeitgesetz legt fest, wie viele Stunden gearbeitet werden dรผrfen, wie viele Pausen in der Zeit gemacht werden mรผssen und wie รberstunden und Mehrarbeit zulรคssig sind. Dokumentiert werden mussten lange Zeit aber nur รberstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit, die dem Arbeitnehmer ausgeglichen werden sollten. Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch im September 2022, dass in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Damit folgt es einem entsprechenden Urteil des Europรคischen Gerichtshofs (EuGH) aus 2019 , wonach Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System zu schaffen, in dem die gesamte geleistete Arbeitszeit erfasst wird. Hierzu gibt es bereits Gesetzesvorschlรคge, die grundsรคtzlich eine elektronische Zeiterfassung vorsehen.
Was bedeutet das in der Praxis?
Tobias Klingelhรถfer: Es besteht bereits jetzt eine objektive gesetzliche Handlungspflicht, ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschlieรlich der รberstunden der Arbeitnehmer im Betrieb erfasst werden. Dabei muss das System revisionssicher sein, also rechtlichen Anforderungen z. B. in puncto Vollstรคndigkeit, Sicherheit oder Nachvollziehbarkeit genรผgen. Die Arbeitszeiterfassung soll aber nicht nur rechtssicherer werden, sondern gleichzeitig praktikabel bleiben. Dabei gilt es festzulegen, wie Daten aufgezeichnet werden mรผssen und wer dafรผr verantwortlich ist. Denn aktuell ist zum Beispiel auch noch unklar, ob eine analoge Erfassung reichen wird oder die elektronische verpflichtend ist. Genauso wenig steht fest, ob die Pflicht beim Arbeitgeber oder beim Arbeitnehmer liegen wird. Eins ist aber relativ sicher: Die Variante Vertrauensarbeit wird dann wohl nicht mehr zulรคssig sein.
Ist das ein Vor- oder ein Nachteil fรผr den Arbeitnehmer?
Tobias Klingelhรถfer: Man vermutet, dass die Vertrauensarbeitszeit eher zu vermehrten รberstunden als zu entspannteren Arbeitszeiten gefรผhrt hat. Insofern wรคre die Erfassung der tatsรคchlichen Zeit ein Vorteil fรผr den Arbeitnehmer. Aber es gibt auch Stimmen, die den Verlust von Flexibilitรคt und eine Zunahme von unnรผtzer Bรผrokratie und Kontrolle durch den Chef beklagen. Tatsรคchlich kann es im Sinne von niemanden sein, wenn man sich fรผr zum Beispiel kurze, notwendige private Telefonate oder E-Mails immer gleich fรผr zwei Minuten aus- und dann wieder einloggen muss. Daher ist der Aufruf, das Gesetz praktikabel zu machen, ernst zu nehmen: Es ist dem Arbeitnehmer nicht damit gedient, wenn er seine Selbstbestimmung verliert Und auch der Arbeitgeber hat keinen Gewinn durch starre und unflexible Regelungen.
Kann man dem nicht durch individuelle Auslegung entgegentreten?
Tobias Klingelhรถfer: Eine gesetzliche Regelung ist unter anderem dafรผr da, dass sie Klarheit im Streitfall bringt. Das lรคsst sich mit individuellen Auslegungen schwer vereinbaren. Das gilt sowohl fรผr den Arbeitgeber, der dafรผr sorgen muss, dass Pausen genommen und Arbeitszeiten nicht รผberschritten bzw. รberstunden nicht unbezahlt bleiben dรผrfen. Aber auch fรผr den Arbeitnehmer, der Arbeitszeitbetrug begeht, wenn er seine Zeiten nicht korrekt erfasst oder aber eingeloggt Pausen nimmt. Und Arbeitszeitbetrug kann unter Umstรคnden sogar ohne Abmahnung zur fristlosen Kรผndigung fรผhren – zum Beispiel wenn vorsรคtzlicher Missbrauch der elektronischen Zeiterfassung nachgewiesen werden kann. Dazu gibt es gerade einen aktuellen Fall, in dem eine Raumpflegerin sich fรผr eine kurze Kaffeepause nicht ausgestempelt hat. Von ihrem Chef darauf angesprochen, leugnete sie zunรคchst und versuchte, sich herauszureden. Ihr Arbeitgeber konnte ihr den Arbeitszeitbetrug aber beweisen und kรผndigte ihr fristlos. Und obwohl die Frau schwerbehindert war, kam er vor Gericht damit durch. Das zeigt, welchen Stellenwert Vertrauen bei diesem Thema hat.
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