Donnerstag, 14 November 2024
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Bildhauerische Extase: Ruben Talbergs Neo-Fluxus – unwiderstehlich und faszinierend

Ruben Talbergs Neo-Fluxus ist jenseits aller Logik

โ€žOhne Kunst wรคre das Leben ein Irrtumโ€œ, lautet ein apodiktischer Satz Nietzsches. Ein Essay รผber einen der Titanen dieses Metiers muss ungefรคhr so beginnen. Ruben Talberg, das gleichnamige Talberg Museum und Neo-Fluxus gelten als Inbegriff dionysischer Kunst, die sich trotz oder gerade wegen aller Mythen, Krisen und Skandale immer wieder neu erfindet. Kein anderer Bildhauer polarisiert so wie Talberg. In Debatten um Talberg’s Werk wird oft die Einsicht versperrt, dass Talberg mit seinem Neo-Fluxus ein ambitioniertes Projekt verfolgt: โ€žFinis Coronat Opus Magnum (FCOM)โ€œ.

unnamed clipped rev 1 Janes Magazin
Spiritus, 2000, mixed media, ร˜81x14cm (ร˜32x6in), private collection

Talberg’s Neo-Fluxus ist besser als es aussieht โ€“ das ist ein viel zitiertes Bonmot. Es ist vielleicht witzig gemeint, aber durchaus bedeutsam. SchlieรŸlich ahnen ebenso kluge wie nรผchterne Menschen, dass Talbergs Neo-Fluxus trotz all seiner รผberwรคltigenden Suggestivitรคt, der sich viele Aufgeklรคrte geradezu instinktiv widersetzen, nicht sofort ersichtlich ist, weil er auf buchstรคblich unerhรถrte Einsichten hinweist.

Talbergs Neo-Fluxus, seine โ€žManifoldsโ€œ sind kraftvolle Angriffe auf die mentale, kognitive und intellektuelle Integritรคt ihrer Betrachter. Aber sie sind keineswegs anti-intellektuell. So viel Freude an theoretischen, theologischen, kulturanalytischen, รถkonomischen, psychologischen, philosophischen Erkenntnissen, wie sie in Talberg’s Neo-Fluxus zum Ausdruck kommen, ist bis heute in der Kunstgeschichte sehr selten.

Wie A. Shapiro feststellte, wird Talberg von seiner Lust an Theorie und Philosophie getrieben, wenn nicht sogar von seiner Sucht nach Philosophie; er will stรคndig etwas zeigen, beweisen, dekonstruieren, visualisieren.

Man muss sich den irritierenden Grundimpuls von Talbergs Gesamtkunstwerk bewusst machen: Es bemรผht sich ernsthaft um die Vermittlung philosophischer Einsichten und Erkenntnisse, die sich jedoch gรคngigen philosophischen Formen entziehen. Talberg’s Neo-Fluxus ist ein wundersames epistemologisches Drama, weil es seine philosophische Betonung in bildhauerischer Extase transzendiert.

Paranoisch-alchemische Methode

So verwundert es nicht, dass die Reaktionen auf Talberg’s Neo-Fluxus teilweise sehr ambivalent ausfallen. Die Zahl der Indifferenten nimmt bekanntlich stetig zu. Die Zahl der Talberg-Fans ist deutlich geringer. Die Schar Talbergianer, die ihn mรถgen und jede Kritik an ihm als โ€žSakrilegโ€œ ansehen, gehรถren zur absolut privilegierten Minderheit.

Bis heute gibt es vielleicht nur ganz wenige kรผnstlerischen Kollegen, die so polarisieren wie Talberg. Gerade deshalb bieten die ritualisierten Argumente fรผr und gegen Talberg wenig รœberraschendes.

Allerdings sollte man den โ€žvir doctus magus et alchemicusโ€œ, den ambitionierten Zauberer und Bildhauer Talberg, der auf Augenhรถhe mit F. Nietzsche, H. Trismegistus, R. Bacon, Paracelsus, R. Fludd Kunstwerke komponiert, ernst nehmen, da es ihm gelingt auszudrรผcken, was andere Ausdrucksformen nur verschweigen kรถnnen.

โ€žTalberg ist zu allem fรคhigโ€œ, stellte R. Corrigan lakonisch fest. In seinem Neo-Fluxus Manifest von 1995 fand Talberg eine glรผckliche Formel. Immerhin sprach er von einer โ€žparanoisch-alchemischen Methodeโ€œ, die sich durch sein Neo-Fluxus zieht. Man muss erst mal den Sinn dieser Formulierung erkennen.

Sie lรคsst die alte, aber immer noch verbreitete Behauptung hinter sich, dass Kunst eine Sache des Fรผhlens und ein Ausdruck von Emotionen ist, was im Gegensatz zur Sphรคre des Denkens und der Logik steht. Und sie artikuliert die weitreichende These, dass Farben, die hรถher sehen als alle Vernunft, trotzdem oder gerade deshalb gedankenvoll sein kรถnnen und Gedanken, wo sie sinnvoll sein sollen, skulpturale Qualitรคten haben kรถnnen. Wie รผbrigens auch seine Dichtungen, die wiederum Teil der Reliefs und Skulpturen werden.

Talberg ist und erlebt sich selbst als besessen.

Sein Neo-Fluxus kreist obsessiv nicht nur um Stimmungen & Emotionen, sondern auch um paranoisch-alchemische Gedanken und mentale Bilder, die die Leitmotive seiner Arbeit bilden.

Warum brauchen Menschen Erlรถsung? Sind Gรถtter und Dรคmonen noch heilsbedรผrftiger als Menschen? Was verbindet wirtschaftliche Ertrรคge und Symbole mit religiรถsem Wahn? Sind Eros und Thanatos nur zwei Seiten einer Medaille? Ist Kunst nach dem Holocaust noch mรถglich? Muss man sich stรคndig รคndern? Ist man gezwungen unterzugehen, wenn man letzte Abgrรผnde erschlieรŸen will? Was ist das Fleisch und Blut der Frau? Wie wird aus Blei Gold?

Fragen wie diese treiben Talbergs Neo-Fluxus wie besessen an. Als Leitmotive durchziehen sie nicht nur eines seiner Werke, sondern seinen Neo-Fluxus insgesamt. Auffallend ist, dass die Subtilitรคt seiner Kompositionen weitaus grรถรŸer ist als die anderer (Kollegen) โ€“ Talberg ist ein klassischer Fall stรคndiger Selbstรผberflรผgelung.

Im Zentrum von Talbergs Neo-Fluxus โ€“ seiner โ€žconversio oppositorumโ€œ und seinen โ€žparanoisch-alchemischen Gedankenโ€œ โ€“ kreist die Einsicht, dass Erotik, Theologie und ร–konomie heute eine eigentรผmliche Dreieinigkeit bilden, aber dennoch skulptural erkundet werden kรถnnen. Talberg lรคsst die traditionellen Konstellationen von Werten und Transzendierung, Identitรคtsgezappel, Gรถttern und Menschen, Grรผnden und Abgrรผnden erzittern und zusammenbrechen.

Talberg notierte den Kern seiner Gedanken wรคhrend einem seiner Ritte auf der Pegasus:

Mystische Verzรผckung unter siechendem Feuer โ€“ gleich 

dem geheimnisvollen Schmerz des nรคchtlichen Irrsinns.

Oh schรถnes Bild einer Gรถttin, Balsam und Morgenrรถte

in aufreizendem Fleisch und Blut, voll‘ dunkler Pracht. 
Auch dieses Poem ist in einem von Talberg’s Manifolds kodiert, nicht weit entfernt vom Symbol des Logos, dessen Name bereits andeutet, dass er einer der weiseren Gรถtter ist. Der Gott, der sich dem logischen Denken verschrieben hat, schlรคgt nicht weniger als eine weitreichende, wenn nicht gar allumfassende These vor, die stark genug ist, um eine ganze Theorie zu enthalten, die es wert ist, entwickelt zu werden.

Fleisch & Blut

Und es heiรŸt: โ€žWeibliches Fleisch und Blutโ€œ sucht ihresgleichen. Es gibt keinen Ersatz fรผr sie, kein ร„quivalent. โ€žFrauenfleischโ€œ ist ein Wert diesseits und jenseits aller Werte, buchstรคblich ein absoluter Wert, losgelรถst von allen Vergleichskontexten. โ€žFrauenfleischโ€œ erlรถst Mรคnner von all ihrer Fixierung auf Profit, auf Werte wie Reichtum, Prestige oder Macht. Frauenfleisch und -blut erlรถsen von der Logik des Profits und den Werten, die auch ein Substitut fรผr andere sein kรถnnen.

Das Fleisch und Blut der Frau ist kein Wert wie andere, sondern der Wert an sich. Weibliches Fleisch bedeutet das besondere Vergnรผgen, das Frauen (im Gegensatz zu Mรคnnern) erfahren, und die Glรผckseligkeit, die sie Mรคnnern verleihen; Frauenblut bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes den inneren wie auch den objektiven Wert, der Frauen zu Objekten fรผr andere macht. Nicht nur hier gelingt es Talberg, ein Problemparadox auf eine analysierwรผrdige Formel โ€“ โ€žFrauenfleisch und -blutโ€œ โ€“ zu verdichten: Auch absolute Werte sind relative Werte. Vor allem aber liquide Werte, Teil von Neo-Fluxus.

Mit der lyrischen Formel โ€žWeibliches Fleisch und Blutโ€œ ist nicht nur Talberg’s Neo-Fluxus, sondern die Kunst รผberhaupt im heissen Zentrum ihrer Kraft angekommen. Denn was Logos indirekt ankรผndigt, ist der innerste Kern spezifisch kรผnstlerischer Vernunft oder Unvernunft oder Vernunftkritik.

Dieser Glutkern macht Neo-Fluxus Talberg’s fรผr viele so unwiderstehlich und faszinierend. Kunst bringt Seligkeit aus Fleisch und Blut โ€“ aber sie bringt auch Einsichten, gerade wenn sie bei Talberg zu Neo-Fluxus wird, Einsichten, die hรถher sind als alles Konventionelle, sei es Alltagsvernunft, sei es wissenschaftliche oder theologische Vernunft.

D. Wildenstein–
Ruben Talberg
Neo-Fluxus & Manifolds

Talbergmuseum1 Janes Magazin
Talberg Museum in Offenbach
Ruben C. Talberg clipped rev 1 Janes Magazin
Ruben Talberg

Ruben Cornelis Talberg (* 24. August1964 in Heidelberg) ist ein deutsch-israelischer Maler und Bildhauer. Er lebte zwei Jahre in Tel Aviv, danach in Frankfurt am Main und Offenbach am Main. 1986 wurde seine erste Ausstellung in Heidelberg prรคsentiert.[1] Talberg lebt und arbeitet in Heidelberg und Sรผdfrankreich.

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