Da sitzt er an seinem Schreibtisch in West Hollywood, Los Angeles. Die Sonne scheint Uli Edel ins Gesicht. Dort, in Kalifornien, wo er seit 1990 lebt.
«Im Gegensatz zu Deutschland scheint hier auch im Winter jeden Tag die Sonne», sagt der 74-Jährige. Die Chancen stehen also gut, dass er auch seinen 75. Geburtstag am 11. April mit schönem Wetter verbringt. Doch künftig will Edel, so ist das Ziel, mehr Zeit in seinem Heimatland verbringen. Die Winter in Kalifornien und die Sommer in Berlin. Und er hat außerdem Pläne für ein ganz besonderes Projekt – einen Heimatfilm.
Da, wo der gebürtige Schwarzwälder aufgewachsen ist, scheint auch häufig die Sonne. Die Kleinstadt Neuenburg am Rhein liegt nur knapp 40 Kilometer von der «Sonnenstadt» Freiburg entfernt. In Neuenburg hat er seine Kindheit und Jugend verbracht, später hat Uli Edel die etwa eine Stunde entfernte und als elitär geltende Jesuiten-Schule Kolleg St. Blasien besucht. «Ich komme aus einer nicht-akademischen Familie. Meine Mutter war eine Bauerstochter, mein Vater gelernter Sattler, der sich mit 26 Jahren zur Wehrmacht meldete.»
Als einziges von vier Kindern besuchte Edel ein Gymnasium. Und das hatte er einem Jesuiten zu verdanken, der aus seinem Ort stammte. «Er und meine Volksschullehrerin bedrängten meine Eltern, mich in das Jesuiteninternat St. Blasien zu schicken, damit ich eine höhere Ausbildung bekommen konnte.» Dort war er dann und durfte nur drei Mal im Jahr nach Hause nach Neuenburg. Dort half er in den Ferien seiner Mutter Hedwig in deren Gasthaus, dem «Kistle». Edel stand hinterm Tresen und hat Bier gezapft.
Und das tat er auch noch Jahre später, als er schon in München lebte, dort die Hochschule für Film und Fernsehen besuchte und auch noch, als er schon längst der bekannte Regisseur war, der mittlerweile in Amerika lebte und mit Filmen wie «Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» (1981) oder «Letzte Ausfahrt Brooklyn» (1989) ein Stückchen Filmgeschichte schrieb.
Etliche Freibier-Runden habe er dann schmeißen müssen, erinnert er sich. Und er habe es gern getan. «Wir finanzierten über all die Jahre mit jedem Bier hier dein Studium und deine Berufsausbildung, jetzt ist die Reihe an dir», sagten die Gäste aus dem Ort zu ihm, wie sich Edel erinnert. «Nie fragten sie mich, was denn ein Regisseur beim Film so macht oder wie das denn in Hollywood so ist.» Für die Leute im Markgräflerland war er noch immer einer von ihnen. Dort, sagt Edel, im «Kistle», das war die «Kommunikationszentrale im Ort» – und seine «Lehranstalt». Dort habe er sein Interesse für Menschen entwickelt. Und man spürt die Wärme der Erinnerung bei ihm, wenn er davon erzählt.
Das Haus seiner Familie, wo das «Kistle» beheimatet war, ist mittlerweile verkauft. Er sei nur noch selten in der Gegend, da er keine Familie mehr dort habe – seine Geschwister und seine Eltern leben nicht mehr. Wenn der 74-Jährige jedoch mal Sehnsucht nach badensischer Küche und Gesellschaft hat, besucht er seinen Freund Hans Röckenwagner, der aus Schliengen stammt – einem Nachbarort von Edels Heimatstadt. Sein Freund lebt, ebenso wie der Regisseur, seit Jahrzehnten in Los Angeles. Er besitzt dort einige Cafés, in denen er den Amerikanern unter anderem Körnerbrot, Laugenbrezeln und Linzertorte anbietet. Und auch ein Schnitzel findet sich bei ihm auf der Speisekarte, wie es auch Edels Mutter Hedwig im «Kistle» anbot und wie es der 74-Jährige gerne mag. Er selbst stehe jedoch nie am Herd, sagt er. Er habe bei seiner Mutter gesehen, wie viel Arbeit das gewesen sei – in der Küche.
Dass Edel in die USA zog, entsprang nicht etwa dem Wunsch nach einem Leben in Amerika. «Ich lebe nicht in Kalifornien, weil ich es hier so toll finde, sondern weil ich hier arbeiten kann und Familie habe. Und das heißt für mich Heimat.» Und wegen der Arbeit habe er sich auch in Berlin eine zweite Basis geschaffen. Seit 2016 haben er und seine amerikanische Frau eine Wohnung in der Stadt. 2008 drehte er den Film «Der Baader Meinhof Komplex» hier, der ihm eine Oscar-Nominierung einbrachte. Aber auch «Das Adlon» (2013, ZDF) und «Der Palast» (2022, ZDF), sein letztes Großprojekt, dessen Dreharbeiten sich durch Corona zwei Jahre hinzogen, entstanden in Berlin.
«Berlin lernte ich zum ersten Mal durch die Arbeit an „Christiane F.“ kennen, aber das war eher Berlins Underground.» Also eher das düstere Berlin, wie er sagt. Als düster wird auch so manches Machwerk von Edel beschrieben. Als «dunkler Prinz von Hollywood» wurde er schon häufiger in den Medien bezeichnet, was ihn selbst nicht wundert. «“Christiane F.“, „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ und „Der Baader Meinhof Komplex“ setzen sich mit dem Thema Gewalt auseinander», sagt er. Und alle drei Streifen sind mit dem Produzenten Bernd Eichinger verbunden, den er an der Filmhochschule in München kennenlernte und mit dem ihn seither bis zu dessen plötzlichen Tod im Jahr 2011 eine tiefe Freundschaft und enge Zusammenarbeit verband. Es seien seine wichtigsten Filme, sagt er.
«Ich denke, es ist an der Zeit, einen Film über meine persönliche Geschichte zu drehen, der von diesen Menschen aus meiner Jugend erzählt.» Er meint die Gäste aus dem «Kistle». Die Entwürfe habe er schon in der Schublade, sagt er. Seinen deutschen Pass hat er nie aufgegeben – trotz amerikanischer Staatsbürgerschaft. «Wenn die amerikanische Staatsbürgerschaft bedeutet hätte, die deutsche dafür aufzugeben, hätte ich es nicht gemacht.» Und dann verabschiedet er sich mit einem freundlichen «Ade». Da ist er wieder, der Badenser. Daran konnten auch über 30 Jahre Hollywood nichts ändern.