Datum
08.04.2023
Rheinische Post: Herr Lindner, die Ampel wollte ihre Streitereien wenigstens รผber Ostern beilegen, doch dann gaben Sie ein Interview zur Kindergrundsicherung, das vor allem die Grรผnen aufregt. War es das mit der Osterruhe fรผr Sie?
Christian Lindner: Mich รผberraschen die Reaktionen. Ich habe nichts anderes gesagt als der Bundeskanzler: Das Wesentliche fรผr eine Kindergrundsicherung ist finanziell bereits erfolgt. Das Kindergeld, der Kinderzuschlag und im รbrigen auch der Regelsatz des Bรผrgergelds wurden deutlich erhรถht. Das sind viele Milliarden Euro. Was nun noch zu tun ist, das ist die Schaffung eines digitalen Verfahrens. Damit wirklich alle Familien das bekommen, was ihnen zusteht.
Rheinische Post: Ist die von Ihrer Ministerkollegin Lisa Paus geforderte Summe von zwรถlf Milliarden Euro mehr pro Jahr unseriรถs?
Christian Lindner: Ich kenne deren Grundlage nicht. Meine Experten schรคtzen, dass durch die Automatisierung zwei bis drei Milliarden Euro an zusรคtzlichen Hilfen fรผr Familien ausgezahlt werden. Es gibt ansonsten viele offene Punkte. So wollen Frau Paus und die Grรผnen auch das Asylbewerberleistungsgesetz einbeziehen. In der Tat gibt es einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und hoher Zuwanderungsrate in den vergangenen Jahren. Aber hieraus mรผssen wir doch die richtigen Schlรผsse ziehen. Sprachfรถrderung und Integration in den Arbeitsmarkt sind nachhaltiger als immer hรถhere Sozialtransfers. Eine Erhรถhung von Sozialtransfers muss auรerdem auch migrationspolitisch sorgsam abgewogen werden.
Rheinische Post: Wie erklรคren Sie sich, dass die Grรผnen und auch die SPD-Vorsitzende Esken so รผber den Finanzminister herfallen?
Christian Lindner: Das kรถnnen die Bรผrgerinnen und Bรผrger selbst beurteilen. Mit mangelndem Einsatz fรผr Familien hat es angesichts der hรถchsten Kindergelderhรถhung seit 1996 jedenfalls nichts zu tun. Ich achte aber darauf, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht รผberfordert werden. Ich bin grundsรคtzlich รผberzeugt, dass man Armut am besten durch Bildung und Arbeitsangebote bekรคmpft. Und auch fรผr die Menschen, die in einem Job mit niedriger Entlohnung arbeiten, muss sich ihr Einsatz im Vergleich zu denen lohnen, die nicht arbeiten.
Rheinische Post: Im Haushalt 2024 gibt es eine Lรผcke zwischen Einnahmen und Ausgaben von 14 bis 18 Milliarden Euro โ wie wollen Sie die schlieรen?
Christian Lindner: Die Politik muss wieder lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bรผrgerinnen und Bรผrger erwirtschaften. Wir sind inzwischen ein Hรถchststeuerland, aber dennoch reichen die Einnahmen nicht aus, um alle gesetzlichen Aufgaben zu finanzieren. Das hat nichts mit den Krisen der letzten Jahre zu tun. In Wahrheit haben unionsgefรผhrte Bundesregierungen รผber ein Jahrzehnt fortwรคhrend neue Sozialleistungen und Subventionen beschlossen, die nicht nachhaltig finanziert waren. Die unnatรผrlichen Niedrigzinsen haben das verdeckt. Jetzt hat sich das Zinsniveau normalisiert. Statt 4 Milliarden Euro Zinsen in 2021 werden es dieses Jahr 40 Milliarden Euro sein. Jetzt zeigen sich die wirtschaftlichen Realitรคten, die viele Jahre verdeckt waren.
Rheinische Post: Wird es ein Sparpaket vom Finanzminister geben?
Christian Lindner: Sparen wรคre ein unpassender Begriff, weil wir in 2024 ja mehr Geld einsetzen als 2023. Aber wir mรผssen das Ausgabenwachstum insgesamt bremsen. Der Staatshaushalt kann nicht schneller wachsen als die Wirtschaft.
Rheinische Post: Die Eckwerte zum Haushalt kamen nicht. Gehen Sie im Mai jetzt mit jedem Minister einzeln in Klausur?
Christian Lindner: Wir werden jede einzelne Ausgabe im Bundeshaushalt auf ihre Begrรผndung und ihre Hรถhe hin beraten. Da werden auch einige liebgewonnene Gewohnheiten auf den Prรผfstand gestellt werden mรผssen. Mir ist dabei wichtig, dass die Maรnahmen fair verteilt werden. Es geht nicht, dass zum Beispiel einseitig die Pendlerinnen und Autofahrer belastet werden. Was ebenfalls nicht geht, das sind Steuererhรถhungen. Denn wir sind inzwischen ein Hรถchststeuerland. Und irgendwelche Tricks, um mehr Schulden zu machen, verbieten sich sowieso.
Rheinische Post: Wo kann gespart werden? Warum nicht einfach eine Flatrate beziehungsweise die prozentuale Kรผrzung aller Ausgaben, auf die kein Rechtsanspruch besteht?
Christian Lindner: Ich bin gegen die Rasenmรคhermethode. Das wรผrde man nur machen, um sich vor unbequemen Begrรผndungen zu drรผcken. Im Gegenteil, eine Konsolidierung ist eine Gelegenheit, zu prรผfen, was es wirklich braucht. Der Prozess lรคuft auch bereits seit Jahresanfang.
Rheinische Post: Und wenn Verteidigungsminister Pistorius mehr Geld fordert, muss dafรผr woanders noch zusรคtzlich gespart werden?
Christian Lindner: Ja. Wir werden, Stand jetzt, im kommenden Jahr bei Einnahmen von 424 Milliarden ein Defizit von 14 bis 18 Milliarden Euro haben. Diese Haushaltslรผcke muss erwirtschaftet werden durch Verzicht. Wenn man dann noch zusรคtzliche Ausgabenschwerpunkte setzen will, zum Beispiel bei Verteidigung oder Bildung, dann muss man umso mehr woanders kรผrzen. Tariferhรถhungen im รถffentlichen Dienst sind auch noch zu berรผcksichtigen. Wer darauf hofft, dass sich mit der Steuerschรคtzung im Mai alle Haushaltsprobleme auflรถsen, unterliegt leider einem Irrtum.
Rheinische Post: Worauf kรถnnte die Bundesregierung verzichten? Sie haben die Fรถrderung des Hafendiesels erwรคhnt. Warum nicht auch die anderen Dieselprivilegien streichen?
Christian Lindner: Ich habe den Hafendiesel nur genannt, weil ich den schon einmal zur Streichung vorgeschlagen hatte. Ansonsten will ich mich an Spekulationen in der รffentlichkeit nicht beteiligen. Das so genannte Dieselprivileg ist im รbrigen gar kein Privileg, weil die Kfz-Steuer auf der anderen Seite teurer ist als bei Benzinern.
Rheinische Post: Nun wollen auch noch die Lรคnder mehr Geld vom Bund fรผr die Flรผchtlingsversorgung. Wird der Kanzler ihnen am 10. Mai mehr Geld zusagen kรถnnen?
Christian Lindner: Der Bund unterstรผtzt die Lรคnder bereits massiv. Wir haben die Flรผchtlinge aus der Ukraine alle ins Bรผrgergeld รผbernommen, das heiรt, der Bund zahlt fรผr ihren Lebensunterhalt, obwohl eigentlich die Lรคnder zustรคndig wรคren. Die Lรคnder sind finanziell in einer wesentlich besseren Verfassung als der Bund, sie haben im vergangenen Jahr einen รberschuss erzielt, wรคhrend der Bund wegen der Krisen hohe Schulden aufnehmen musste. Insofern mรผsste eigentlich der Bund die Lรคnder um Unterstรผtzung bitten und nicht umgekehrt.
Rheinische Post: Das heiรt: Es gibt einfach nichts fรผr die Lรคnder?
Christian Lindner: Bund und Lรคnder sollten miteinander arbeiten und nicht gegeneinander. Wir mรผssen darauf aufmerksam machen, dass der Bund mit der Bundeswehr, der Unterstรผtzung der Ukraine, der Stabilisierung der Sozialversicherungen, dem Umbau der Energieversorgung und der Modernisierung der Infrastruktur vor gewaltigen Herausforderungen steht.
Rheinische Post: Wie stellen Sie sich die angekรผndigte staatliche Fรถrderung des Heizungstausches vor?
Christian Lindner: Ich halte eine Fรถrderung bezogen auf die auszutauschende Heizung fรผr sinnvoll. Damit wรผrde die hรถchste Fรถrderung erhalten, dessen Heizung den hรถchsten CO2-Ausstoร aufweist. Das wรคre besonders effektiv, denn dadurch bekรคmen wir besonders viel Klimaschutz pro Euro. Auรerdem haben Haushalte mit wenig Einkommen oft auch รคltere Heizungen. Hier gibt es einen sozialen Aspekt.
Rheinische Post: Die Wirtschaftsforschungsinstitute empfehlen Ihnen, gar nichts zu tun, weil die Gaspreise sowieso weiter steigen, sodass die Menschen zum Heizungstausch gezwungen sind. Was also soll die Abwrackprรคmie?
Christian Lindner: Richtig ist, dass der steigende CO2-Preis ohnehin in den kommenden Jahrzehnten wirtschaftliche Anreize fรผr Verรคnderungen setzt. Aber wir wollen Tempo machen und im รbrigen soziale Hรคrten vermeiden. Allerdings muss man klar sagen, dass der Staat nicht auf Dauer und nicht vollstรคndig die Kosten tragen kann. Wir mรผssen begrenzte Mittel also mรถglich effektiv einsetzen.
Rheinische Post: Wieso sagt der Bundeskanzler dann, dass niemand im Stich gelassen wird?
Christian Lindner: Er hat Recht. Es wird niemand im Stich gelassen, der Unterstรผtzung benรถtigt. Allerdings muss ich daran erinnern, dass der Staat kein eigenes Geld hat. Es sind am Ende immer die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die fรผr die Subventionen aufkommen mรผssen.
Rheinische Post: Die Grรผnen setzen darauf, dass der in der Ampel vereinbarte beschleunigte Autobahnbau von den Lรคndern noch gestoppt wird. Was sagen Sie?
Christian Lindner: Es ist ein groรer Erfolg, dass 144 Autobahnprojekte mit fast 1000 Kilometer Lรคnge jetzt ins รผberragende รถffentliche Interesse gestellt werden kรถnnen. Es geht hier um die Beseitigung von Staustellen. Nichts ist fรผr den Klimaschutz schlechter, als wenn man Benzin verbraucht, aber nicht vorankommt, weil man im Stau steht. Aber mir war wichtig, dass dies im Einvernehmen mit den Lรคndern erfolgt. Der Ball liegt fรผr Ministerprรคsident Hendrik Wรผst, immerhin dem frรผheren Verkehrsminister, jetzt auf dem Elfmeterpunkt. Er muss ihn nur verwandeln. Das wird viel รผber Schwarz-Grรผn in Dรผsseldorf sagen, ob sich die irrationale Ablehnung des Autos durchsetzt oder die Mobilitรคtsfreiheit der Menschen.
Rheinische Post: Gilt ihr Satz von 2017 noch, dass es besser ist, nicht zu regieren als schlecht zu regieren?
Christian Lindner: Der Satz gilt. Allerdings gilt auch die Umkehrung: Wenn man gut regieren kann, darf man das Land nicht anderen รผberlassen. Im Zweifel schaut man dann nur zu, wie das Land nach links gefรผhrt wird.
Rheinische Post: Kann der Untersuchungsausschuss im Warburg-Skandal fรผr den Bundeskanzler und damit die Bundesregierung gefรคhrlich werden?
Christian Lindner: Es gibt ja schon einen Untersuchungsausschuss in der Hamburgischen Bรผrgerschaft. Ich gehe davon aus, dass man das damalige Handeln von Olaf Scholz nicht beanstanden kann.
Rheinische Post: Ende April stellen Sie sich auf dem FDP-Parteitag wieder als Vorsitzender zur Wahl. Warum streben Sie das Amt erneut an?
Christian Lindner: Mir macht es Freude und ich habe noch viel vor. Ich kรคmpfe fรผr den Wert der Freiheit, wirtschaftliche Vernunft, faire Lebenschancen und ein moderneres, nicht linkes Deutschland. Der Parteivorsitz ist kein Selbstzweck, sondern mein Mittel dafรผr.
Rheinische Post: Die Ampel tat der FDP bisher nicht gut. Wie wollen Sie das Ruder herumreiรen?
Christian Lindner: Wir tun einfach unsere Arbeit. Dank der FDP gibt es Technologiefreiheit bei den Auto-Antrieben und den Heizungen. Wir sorgen fรผr solide Finanzen und fรผr einen Staat, der den Menschen die bรผrokratischen Fesseln lรถst. Wir werden bisweilen angegriffen. Aber ich rate uns einfach weiterhin zu frรถhlicher Penetranz, wenn es um unsere รberzeugungen geht.
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