Wie der General Manager mich coachte und somit meine Generalprobe mein Waterloo wurde und die Premiere ein Triumph
Im Spiegel meines Hotelzimmers sah ich eine ziemlich nervöse Frau. Anfang Dreißig und Controllerin in einem amerikanischen Konzern. Diese Frau war ich. Seit Stunden, es war schon weit nach Mitternacht, sprach ich vor einem imaginären Publikum. Der mannshohe Spiegel zeigte mir meine Unsicherheit, aber auch meine Entschlossenheit. Am Nachmittag war ich bei einer Generalprobe im kleinen Kreis auf ganzer Linie gescheitert. Mit meiner Rede hatte ich nicht nur mich, sondern auch meine Teamkollegen gequält. Stockend und ohne Esprit vorgetragen, lautete dann auch deren Urteil. Es war ein Desaster, mein Vortrag riss keinen mit. Ich empfand Scham, da mir mein Teamleiter ohne weiteres zugetraut hatte, diese wichtige Rede am nächsten Tag vor rund 300 Top-Entscheidern beim Strategiemeeting des Konzerns zu halten.
Aus der ganzen Welt waren die Kollegen angereist und bereits im Hotel angekommen, neugierig darauf, was das deutsche Team an neuen Taktiken präsentieren wird. Einige Gesichter kannte ich von Videokonferenzen, dennoch steht das in keiner Relation zu einem gegenübersitzenden Gesprächspartner. Es sollte mein erster großer Auftritt dieser Art werden, und ich drohte, dem Vertrauen in meine Person nicht gerecht zu werden. Frei reden war für mich bis dahin nie eine mentale Belastung, ebenso wenig fiel mir das Schreiben einer motivierenden und mit Zahlen gespickten Rede schwer, denn ich habe ein Talent für Worte und diese purzelten normalerweise wie Brieftauben aus mir heraus. In diesem Fall aber nur auf dem Papier. Meine Zunge schien wie verhakt, die Tauben flügellahm. Was war bloß los?
Die Konkurrenz scharrte mit den Hufen
Doch der Reihe nach. In einem multifunktionalen Markenführungsteam des Konzerns war ich für die kaufmännischen Belange verantwortlich, und obwohl unsere Non-Food-Marke weltweit bestens dastand, scharrte die Konkurrenz unablässig mit den Hufen, um uns zu überholen. Auch unsere Marke musste sich immer wieder neu erfinden oder doch zumindest weitere Kaufanreize schaffen. Wie in amerikanischen Unternehmen üblich, verstand man uns Controller nicht als reine Zahlenknechte, sondern wir nahmen die Rolle des Business Partner ein und wurden aktiv in Entscheidungsprozesse involviert.
Ich war betriebswirtschaftlicher Begleiter, das ökonomische Gewissen – und auch der Hofnarr, der unangenehme Wahrheiten aussprechen durfte. Eine spannende Rolle.
Pack den Stier, die Rede, bei den Hörnern!
Mein Teamchef war ein sehr entspannter Finne, ein starkes Gewächs mit Wurzeln im Marketing und eloquent wie der berühmte Kühlschrankverkäufer in der Antarktis. Er brannte für drei Dinge: die Firma, die Familie und den Tango. In jüngeren Jahren hatte er es in seiner Heimat sogar zu kleineren Titeln in diesem leidenschaftlichen Tanz gebracht, geblieben war ihm nach einer Knieverletzung die Tangomusik, die sogar im Büro sein Klingelton war. „Mit der Familie geht es drei Wochen nach Finnland, meine Kinder sind mir wichtig“, sagte er beiläufig. Ich horchte auf, denn die Urlaubstage fielen genau in die Zeit des globalen Strategietreffens. Bei der mehrtägigen Tagung sollte jede Konzernmarke kurz und knapp präsentiert werden – und nun wollte einer der Hauptredner einfach in die Ferien düsen? Ich war mehr als überrascht, fand es aber insgeheim mutig von ihm, der Familie so viel Stellenwert einzuräumen. Er hatte natürlich einen Plan, der Fuchs. „Du vertrittst mich, denn du bist diejenige im Team, die das am ehesten leisten kann. Für den Global Manager ist das kein Problem, du bist meine Stellvertreterin. Pack den Stier, die Rede, bei den Hörnern!“, kam von ihm. Da schien schon alles in trockenen Tüchern, und nur zu gern ließ ich mich in dieses Lob einwickeln. Schon länger war ich die zweite Spitze im Team, auch wenn dies nicht auf meinem Türschild stand.
Eine Rede zu schreiben ist nicht schwer, dachte ich. Hineinpacken wollte ich möglichst viele gute Strategien, die anschließend in Arbeitsgruppen weiter Gestalt annehmen sollten. Im Team gab es keine Diskussionen, nur der Global Manager schien nicht ganz überzeugt, dass die Sache bei mir wirklich in guten Händen lag. Ich bemerkte es daran, dass er mich mit seiner ganzen Autorität drängte, ihm die Rede bereits drei Wochen vor dem Termin vorzulegen. Dabei kannte er mich doch als Last-Minute-Worker, verlässlich und exzellent, aber immer auf den letzten Drücker. Ich schrieb also, feilte und baute kluge Bonmots ein.
Alles Wackelpudding – Wie ich mit fliegenden Fahnen unterging
Tatsächlich hatte der Global Manager wenig zu kritisieren und er bescheinigte meinem Text einen gelungenen Aufbau und Flow. Die Rede war damit auf der Zielgeraden. Als zweites Sicherheitsnetz bat er dann um eine Generalprobe. Selbstbewusst wie ich nun einmal bin, versicherte ich ihm, dass das eine Kleinigkeit sei und Redeangst für mich ein Fremdwort darstelle. Ich sollte mich irren: der Stressfaktor wird umso größer, je wichtiger das Ziel ist. Eine gute Rede schreiben und eine gute Rede halten, sind die zwei Säulen, die einen starken Auftritt tragen, aber ich hatte noch nicht gelernt, sie mit gleicher Tragkraft auszustatten. Die Generalprobe wurde mein Waterloo, ich ging mit fliegenden Fahnen unter.
Die anwesenden Teamkollegen vermieden den Blickkontakt, so konfus hatten sie mich noch nie erlebt. Ich kam einfach nur schlecht rüber, was ich vortrug, war reinster Wackelpudding. Was sich auf dem Papier so gut las, klang plötzlich so gar nicht ansprechend. Es stimmte leider: geschriebene und gesprochene Sprache sind zwei Paar Schuhe! Ich selbst kannte auch erschreckenderweise meine Stimme nicht wieder, die plötzlich so hoch und schrill klang. Nicht aus Angst hatte ich die Rede vergeigt, sondern aus Unerfahrenheit zusammen mit einem extrem hohen Anspruchsdenken. Ich hatte schließlich vor hunderten Menschen den guten Ruf unseres Teams zu verteidigen. Der General Manager lächelte und statt eines Donnerwetters lobte er erneut meinen seiner Ansicht nach runden und schlüssigen Text und gab mir dann den Rat oder vielmehr die Anweisung, die wenigen Seiten auswendig zu lernen. Und zwar komplett, Wort für Wort, eine Nacht hätte ich Zeit. Das sollte mir Sicherheit geben und Freiheit beim Sprechen.
Gefühlte 100 Mal las ich den englischen Text
Allen war klar, aus dieser Nummer komme ich nicht mehr heraus, da musste ich durch. Ein Kneifen zu diesem Zeitpunkt hätte meiner Karriere und vor allem meinem Selbstbild unglaublich geschadet. Da stand ich nun allein vor dem Spiegel und übte. Gefühlte 100 Mal las ich den englischen Text und hämmerte ihn mir in den Kopf hinein. Ich wusste, selbst manche der besten Schauspieler und Musiker haben zermürbendes Lampenfieber und Tricks, die Stresshormone im Körper in Schach zu halten. Der großartige Komiker Heinz Erhardt, über dessen Wortspiele meine Großeltern gern lachten, trug eine Brille aus Fensterglas, so dass er das Publikum nur verschwommen sehen konnte. Was ihm half, ginge mir zu weit, ich will Menschen sehen selbst wenn mein Herz vor Anspannung trommelt. „Lachen Sie, akzeptieren Sie Ihr Lampenfieber und klammern Sie sich ja nicht an einen Kugelschreiber“, gab mir der General Manager noch mit. Ich sprang ins kalte Wasser – und es trug mich.
Wie ich mit meinem Kurzzeitgedächtnis abhob!
Die ersten Worte las ich noch vom Zettel und dann hob ich mit dem Kurzzeitgedächtnis ab, spulte die Rede mit allen nötigen Pausen und Betonungen ab und sprach frei, fand die richtigen Worte. Zwischendurch stand ich für Sekunden wie neben mir und schaute, was diese junge Frau, ich, zu leisten imstande war. Ein Moment, der mich wirklich stolz machte und mich meine Stärke spüren ließ. Kurz wollte ich meine Hand in der Hosentasche meines schwarzen Anzugs verstecken, doch ich hielt sie zurück. Bei manchen Männern mag diese Geste lässig aussehen, ich finde sie generell unhöflich und brauche meine Hände auch beim Sprechen. Auf Tuchfühlung ging ich mit den Augen, schaute die Männer und Frauen an, die mir im Saal zuhörten. Bildete ich mir das ein, oder kam ein Glänzen zurück? Wie auch immer, es fühlte sich an, als würde einem Schokolade am Körper runterlaufen, einfach berauschend! Sicher legte ich hier keine absolute Glanzleistung hin, aber gab doch ein ordentliches Paket ab. Nach einer Viertelstunde war alles vorbei, Applaus brannte auf und ich ging zurück an meinen Platz.
Der Global Manager stand auf und klopfte mir anerkennend auf die Schulter, sagte: „Jetzt bist du eine von uns!“ Seine anfänglichen Zweifel brachte er später im Hotel offen zur Sprache, meine Wahrnehmung hatte mich also nicht getäuscht. Trotz seiner Bedenken stand er hinter mir und gab mir Mittel in die Hand, den Auftritt zu bewältigen. Sein Rat setzte dort an, wo ich auch wirklich etwas verändern konnte. Dass er sich mit mir aufrichtig über den Erfolg freute, wertete ich als Kompliment unter Gleichen.
Mein Glück: Vorgesetzte, die mir Herausforderungen vor die Nase setzten
Was veränderte sich in der Folge? War mein Teamleiter im Urlaub, stand nie wieder die Frage im Raum, ob ich die Vertretung auf allen Ebenen bewältigen kann. Für mich selbst war das ein großer Schritt im Rollenverständnis meines Jobs – ich war nicht nur Controllerin und Businesspartnerin, sondern konnte auch multifunktionaler Teamleiterin sein. Das einmal mit jeder Pore erlebt zu haben, war mir nicht mehr zu nehmen, auch in späteren Jobs kam mir das sehr zu Gute. Mein Glück waren Vorgesetzte, die mir Herausforderungen vor die Nase setzen, mir aber zugleich im Kern vertrauten. Hätte ich die Rede vor den versammelten Leadern an die Wand gefahren, wären auch der Global Manager und mein Teamleiter nicht ohne Beulen davongekommen. Mein Misserfolg wäre zum Teil auf sie zurückgefallen.
Nur eine Oktave tiefer
Nach der Rede ist vor der Rede, und sie jedes Mal auswendig lernen war natürlich keine Lösung. Ich entschloss mich zu einem Sprecher-Coaching, um mir das nötige Rüstzeug anzueignen. Im Einzeltraining lernte ich die Grundlagen der Atem- und Sprechtechnik und begriff schnell, meine Stimme als Freund und nicht als zu zähmenden Gegner anzusehen. Frauen erhöhen ihre Stimme, wenn sie nervös sind, und auch ich war nicht davon frei. Bei Stress ging meine Stimme hoch und wirkte dadurch flatterig, angestrengt und letztlich inkompetent. Bereits eine Oktave tiefer hörte sich das Gesprochene schon besser an. Schwierigkeiten hatte ich auch mit der Sprechgeschwindigkeit, mein Tempo war einfach zu schnell. Der Coach, eine Schauspielerin, drosselte mich mit viel Geduld auf etwa 140 Wörter oder 250 Silben in der Minute. Vorlesen war mir schon in der Grundschule ein Gräuel, vielleicht lag da eine Ursache für mein hektisches Lesen. Ganz allmählich merkte ich, frei sprechen kann Spaß machen, je überzeugter ich vom Inhalt war, desto authentischer kam ich rüber. Um in Übung zu bleiben, las ich mir zuhause selbst vor und gab das Gelesene anschließend frei wieder. Ich hatte nun verstanden: Nur 30 Prozent zeigt Wirkung, mit dem, was ich sage und 70 Prozent, wie ich vortrage!
Aus „Blondinen im Management“ von Heidi Stopper und Jane Uhlig