António Lobo Antunes läuft die Zeit davon. Der ewige Kandidat auf den Literatur-Nobelpreis wird an diesem Donnerstag (1. September) 80 Jahre alt – und hat die Auszeichnung, die auch deutsche Literaturkritiker und Fans schon seit vielen Jahren für ihn fordern, immer noch nicht erhalten.
Es mag auch daran liegen, mutmaßen einige, dass der oft mürrisch auftretende Portugiese für Öffentlichkeitsarbeit wenig übrig hat. Sehr wenig. «Ich scheiß‘ auf den Nobelpreis», sagte Lobo Antunes etwa kurz vor Pandemiebeginn der renommierten spanischen Zeitung «El Mundo». «Auszeichnungen machen Bücher nicht besser.»
Schreiben wie am Fließband
Weder ist Lobo Antunes für Public Relations geeignet – noch hat er Zeit dafür. Er tut nämlich «nichts anderes als schreiben», wie er mehrfach erzählte. Und obwohl der gelernte Psychiater bekanntlich auch viel liest, produziert er geradezu am Fließband. 37 Bücher hat er schon veröffentlicht. 31 davon Romane. Zuletzt fast einen pro Jahr. Roman Nummer 32 mit dem Arbeitstitel «O Tamanho do Mundo» (Die Größe der Welt) soll nach einer jüngsten Mitteilung seines Verlags D.Quixote im Oktober in Portugal in die Läden kommen.
Eine erstaunliche Produktivität. Zumal Lobo Antunes weder Computer noch Schreibmaschine besitzt und seine langen und poesievollen Werke mit Kuli und Stift oft auch auf kleine DIN-A-5-Zettel kritzelt. «Schreiben ohne Kondom», nannte er das einmal. Mit seiner unkonventionellen, energievollen und dichten Sprache, seinen an Atmosphäre und Metaphern reichen Texten begeistert er seine Fans und Leser weltweit. Das Internationale Literaturfestival Berlin bescheinigte dem Autor «einen unverwechselbaren Stil». Seine Romane seien «kunstvoll, komplex und zuweilen labyrinthisch gestaltet» und zeichneten sich «besonders durch häufigen Perspektiv- und Tempuswechsel» aus.
Lobo Antunes ist kein Topseller, seine Werke gibt es aber in etwa 60 Sprachen. Der Dienst Anfang der 1970er als Arzt beim Kolonialkrieg in Angola spielt in seinen Büchern oft eine zentrale Rolle. Das Regime hatte den jungen Mann aus reichem Haus zwangsverpflichtet. «Das war schrecklich, bei einem Krieg gibt es nur Verlierer. Es war eine radikale Erfahrung, die mein Leben verändert hat.»
27 lange Monate dauerte der Einsatz. Danach arbeitete Lobo Antunes 1973 in Lissabon lange Zeit als Psychiater in einem Krankenhaus und schrieb nur in der knappen Freizeit. Bis dem Sohn eines angesehenen Arztes 1979 mit seinem zweiten Roman «Os cus de Judas» (1987 unter dem deutschen Titel «Der Judaskuß» erschienen) der internationale Durchbruch gelang. Im stark autobiografischen Text in Monologform offenbart ein Kriegsveteran seine Schmerzen und Bitterkeiten.
Innere Stimmen werden lauter
Lobo Antunes hatte kein leichtes Leben. Als Dreijähriger fesselte ihn eine Tuberkulose für ein Jahr ans Bett, 2007 überlebte er ein Krebsleiden, danach zwei weitere. Angst, Tod, Krankheit und Gewalt, aber auch die kleinen Dinge des Lebens sowie ein düsterer, melancholischer Gegenwartsblick spielen in den Werken des Vaters dreier Töchter, der seit 2010 in dritter Ehe mit einer 21 Jahre jüngeren Journalistin verheiratet ist, immer die Hauptrollen.
«Mein Vater war Brasilianer, seine Mutter Deutsche, in meiner Familie gibt es Portugiesen, Italiener. Eines habe ich schon früh gelernt: Es gibt blonde, schwarz- und braunhaarige Menschen, aber ihre grundlegenden Probleme sind immer dieselben», so der Literat. Es gibt aber Probleme, die positive Seiten haben: «Meine zunehmende Taubheit war ein literarischer Segen, weil ich die inneren Stimmen besser höre und meine Arbeit dadurch besser wurde», versicherte er.
Als Vorbilder nennt er unter anderem Sartre, Hemingway, Malraux, Camus, Faulkner und Tolstoi. Den 2015 gestorbenen Günter Grass bewundert er «als Schriftsteller, aber auch als Menschen». Und wie sieht er sich selbst? «Das, was ich schreibe, kann man nicht Romane nennen. Ich erzähle keine Geschichten, will kein Entertainer sein, will nicht lustig oder interessant rüberkommen», schrieb er in einer Chronik. Ihn interessiere nur der Versuch, «das ganze Leben zwischen die zwei Deckel eines Buches zu stecken», sagte er einmal.
Introvertiert und verschlossen
«Das ganze Leben», das sind Reflexionen, Erinnerungen, Fantasien, Abrechnungen und Briefe an und Gespräche mit Lebenden und Toten. Kritiker feiern das Lissabonner Original, das weder Kreditkarte noch Auto oder Handy besitzen soll, als einzigartiges literarisches Genie. Er sei ein «Meister der portugiesischen Sprache», hieß es etwa 2007, als er im brasilianischen Rio de Janeiro mit dem bedeutendsten Literaturpreis der portugiesisch-sprachigen Welt, dem Prémio Camões, ausgezeichnet wurde.
Viele kritisieren ihn aber auch als arrogant und stur. Lobo Antunes widerspricht nicht: «Ich bin introvertiert, verschlossen. Voller Selbstzweifel. Es ist nicht leicht, mit mir zu leben. Es ist so, als ob ich ständig im Bürgerkrieg wäre.» In der Öffentlichkeit lässt sich der Mann, der auch Deutsch spricht, seit Langem kaum noch blicken. Aus dem Haus gehe er fast nur noch, um Zigaretten zu holen, räumte er vor Jahren ein. «Ich lebe nur für die Bücher.»