Donnerstag, 19 Dezember 2024
StartHealthDZPG-Strategie: Reduzierung psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen

DZPG-Strategie: Reduzierung psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen

So will die Forschung psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen reduzieren: DZPG hat Risikofaktoren im Visier

Berlin, 24.6.2024 โ€“ Bis zu 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland haben eine psychische Stรถrung. Aber nicht alle Kinder sind gleichermaรŸen gefรคhrdet. Am Deutschen Zentrum fรผr Psychische Gesundheit (DZPG) wird in vielen Projekten speziell fรผr Gruppen geforscht, die von Risikofaktoren betroffen sind. Ziel ist es, frรผher Diagnosen zu stellen und in Deutschland ein breites Netz an Prรคventions- und Hilfsangeboten fรผr jede Altersstufe zu schaffen. Prof. Dr. Peter Falkai, Klinikdirektor der Psychiatrie und Psychotherapie an der LMU Klinik und Standortsprecher des DZPG in Mรผnchen, betont: โ€žPsychische Erkrankungen sind eines der relevanten Gesundheitsprobleme in Deutschland. Mit Prรคventionsangeboten kann ein Teil der Kinder und Jugendlichen geschรผtzt werden. Dafรผr setzt das DZPG sich mit translationaler Forschung ein.โ€œ

Prof. Dr. Peter Falkai, Sprecher des DZPG-Standorts Mรผnchen-Augsburg ยฉ DZPG
Prof. Dr. Peter Falkai, Sprecher des DZPG-Standorts Mรผnchen-Augsburg ยฉ DZPG

Angststรถrungen, hyperkinetisches Syndrom, Lernstรถrungen, Depressionen, Suchterkrankungen und Essstรถrungen: Der Katalog der psychischen Stรถrungen, die Kinder und Jugendliche treffen, ist gewichtig. Werden psychische Probleme im Kindes- und Jugendalter nicht behandelt, wirken sie oft bis ins Erwachsenenalter. โ€žBei Kindern und Jugendlichen ist schon jeder fรผnfte von psychischen Stรถrungen betroffenโ€œ, so Falkai. โ€žBei Erwachsenen wรคchst der Anteil auf jeden vierten. Damit sind seelische Erkrankungen eine der groรŸen Herausforderungen im Medizinbereich.โ€œ

Risikofaktor Erwachsenwerden: Mit dem Alter steigt das Risiko fรผr psychische Erkrankungen

Mit steigendem Alter sind Heranwachsende Stress ausgesetzt durch Schulabschluss, Ausbildung, die Grรผndung eigener sozialer Verbรผnde und das Finden sozialer Rollen. Aber eine Gefรคhrdung fรผr seelische Erkrankungen ergibt sich nicht allein aus dem Reifeprozess. Forschungen am DZPG haben spezielle Risikofaktoren im Blick. Falkai erklรคrt: โ€žWรคhrend der Corona-Pandemie mit Kontaktbeschrรคnkungen, Einsamkeit und mehr hรคuslicher Gewalt sind die Zahlen psychischer Stรถrungen bei Kindern und Jugendlichen deutlich angestiegen.โ€œ Den Zuwachs belegt eine Untersuchung des BKK Dachverbands im Auftrag der Stiftung Kindergesundheit. Aus ihr geht hervor, dass in den Pandemiejahren 2020 und 2021 besonders die 15- bis 19-jรคhrigen weiblichen Versicherten unter psychischen Symptomen gelitten haben. รœberdurchschnittlich hรคufig waren demnach Angst- und Anpassungsstรถrungen zu beobachten.ยน Und die nรคchste Krise ist lรคngst da: โ€žWir beobachten auch einen Anstieg von Posttraumatischen Belastungsstรถrungen und Depressionen bei externen Stressoren wie kriegerischen Konflikten.โ€œ

Vor der Behandlung steht die Prรคvention

โ€žZahlreiche Forschungen innerhalb des DZPG zielen hier auf Prรคventionโ€œ, so Prof. Falkai. โ€žSchon vor dem Auftreten vieler psychischer Stรถrungen entwickeln Betroffene erste Symptome.โ€œ In der Praxis sehen diese ersten Anzeichen von auรŸen oft unspezifisch aus: โ€žDazu gehรถren Schlafstรถrungen, innere Unruhe und kรถrperliche Beschwerden wie Bauch-, Kopf- und Rรผckenschmerzen. SchlieรŸlich kann diese Entwicklung flieรŸend รผbergehen in Angststรถrungen. Auch eine Verschlechterung der Konzentration und damit der schulischen Leistungen ist hรคufig zu beobachten.โ€œ Auch hier registrieren Fachleute wachsende Fallzahlen: Bei Schulkindern haben potenziell psychosomatische Beschwerden wie Kopf-, Bauch- und Rรผckenschmerzen, aber auch Einschlafprobleme und Niedergeschlagenheit รผber die Jahre stark zugenommen. Das ist ein Ergebnis der Studie Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) der WHO.ยฒ

Psychische Erkrankungen bei jungen Menschen verhindern

Auf diese Vor-Phase zielen die Forschungen zur Primรคrprรคvention des DZPG: Ziel ist, die Wahrscheinlichkeit dafรผr, dass Kinder und Jugendliche an psychischen Stรถrungen erkranken, zu verkleinern. Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts fรผr Seelische Gesundheit in Mannheim und DZPG-Sprecher, erklรคrt: โ€žDazu gehรถrt im ersten Schritt, psychische Gesundheit รผberhaupt zu messen. Eine solche Messung wird am Standort Bochum vom DZPG gerade mit dem Deutschen Gesundheitsbarometer implementiert. Dafรผr wird regelmรครŸig eine reprรคsentative Bevรถlkerungsstichprobe zu ihrem seelischen Befinden befragt. So kann man Verรคnderungen โ€“ etwa wรคhrend einer Wirtschaftskrise oder Pandemie โ€“ bei der psychischen Gesundheit der Bevรถlkerung messen, um gegebenenfalls MaรŸnahmen zu ergreifen, damit sie nicht kippt.โ€œ

Forschung fรผr Kinder mit erhรถhtem Risiko

Dabei ist das Risiko einer psychischen Erkrankung lรคngst nicht bei allen Kindern und Jugendlichen in Deutschland gleich hoch: โ€žWir kennen Risikofaktoren, die psychische Krankheiten auslรถsen oder verschlechtern kรถnnen. Dazu gehรถrt auch eine Frรผhgeburtโ€œ, so Falkai. Dieser Umstand wird am DZPG-Standort Tรผbingen in den Fokus genommen. Dort werden die Familien von Frรผhgeborenen im Rahmen eines Frรผherkennungsprogramms engmaschig betreut, um mรถgliche Frรผhsymptome psychischer Erkrankungen zu erkennen und den durch die Frรผhgeburt ausgelรถsten Stress in der Familie zu reduzieren. Parallel wird eine groรŸe Zwillingskohorte nachverfolgt, um auch hier Risiko- und Resilienzfaktoren zu verstehen, um Frรผhsymptome zu erkennen und Interventionsmรถglichkeiten anzubieten.

Aber auch im weiteren Verlauf ergeben sich Risiken. Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik fรผr Psychiatrie und Psychotherapie CCM an der Charitรฉ โ€“ Universitรคtsmedizin Berlin und Sprecher des DZPG: โ€žEin Faktor ist der sozioรถkonomische Status, vor allem in Hinblick auf Zugangsbarrieren zu gesundheitlicher Versorgung, aber auch die Mental Health Literacy: Wie viel weiรŸ ich รผber seelische Gesundheit?โ€œ Ein besonderer Risikofaktor fรผr psychische Stรถrungen ist zudem das Aufwachsen in stรคdtischen Ballungsrรคumen und Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile. Auch ein Minderheitenstatus zรคhlt zu den Risikofaktoren. Deshalb startete ein Projekt des DZPG im Bochumer Stadtteil Wattenscheid. Dort leben รผberdurchschnittlich viele Menschen in prekรคren Verhรคltnissen, mit Migrationshintergrund oder von Arbeitslosigkeit betroffen. Das Forschungs- und Behandlungszentrum fรผr psychische Gesundheit (FBZ) der Ruhr-Universitรคt Bochum entwickelt ein neuartiges Prรคventionskonzept unter dem Motto โ€žUrban Mental Healthโ€œ (UMH). Es bringt erstmals Wissenschaft, Politik und Praxis zusammen, um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern. Das Projekt zielt auf die seelische Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern, die mit gesteigerter Resilienz und einem Curriculum fรผr die Schรผlerinnen und Schรผler deren โ€žMental Health Literacyโ€œ, das Wissen รผber seelische Gesundheit, steigern sollen. Bei Erfolg kรถnnte es zur Blaupause fรผr ganz Deutschland werden.

Risikofaktor psychische Probleme der Eltern

An der FU Berlin haben die Forschenden Kinder von Eltern im Fokus, die aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastung Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Kindern erleben. Das kann beispielsweise bedeuten, dass ein oder mehrere Elternteile eine psychische Erkrankung (z.B. Depressionen oder Angststรถrungen) haben oder nur eingeschrรคnkte soziale oder finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Die Forschung zeigt, dass solche Belastungen mit einem erhรถhten elterlichen Stresserleben einhergehen kรถnnen, was wiederum die Kommunikation und den Umgang mit den eigenen Kindern erschweren kann. Hier wird gerade eine App als niederschwelliges Angebot entwickelt, das Eltern dazu befรคhigt, ihre eigene psychische Gesundheit zu stรคrken und ein positives Erziehungsverhalten zu fรถrdern.

Frรผhere Diagnosen fรผr einen leichteren Start ins Erwachsenenleben

Aber auch an der Sekundรคrprรคvention, der Verbesserung von Therapiechancen durch frรผhe Erkennung von Erkrankungen, forscht das DZPG. Falkai: โ€žDas DZPG evaluiert gerade Zentren fรผr Frรผherkennung und Erstbehandlung von Psychischen Erkrankungen und will hier das Informationsangebot fรผr die Bevรถlkerung verbessern.โ€œ Das Ziel: Kinder, Jugendliche und ihre Familien sollen als Anlaufpunkte kompetente Frรผherkennungszentren zur Verfรผgung haben, die auf psychische Stรถrungen spezialisiert sind. โ€žNur Fachleute kรถnnen Symptome, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen, von solchen unterscheiden, die sich im Rahmen von normalen Reifungs- und Entwicklungsprozessen zeigen.โ€œ

รœber das DZPG

Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum fรผr Psychische Gesundheit (DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die psychische Gesundheit der Bevรถlkerung zu verbessern und psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland wirken hierfรผr Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische Gesundheit.

Wissenschaftlicher Ansprechpartner:

Prof. Dr. Peter Falkai, Klinikdirektor der Psychiatrie und Psychotherapie am LMU Klinikum, Peter.Falkai@med.uni-muenchen.de

Quellen:

Kindergesundheitsbericht 2023 der Stiftung Kindergesundheit: https://www.kindergesundheit.de/Die-Stiftung/Kindergesundheitsberichte/Kindergesundheitsbericht_digital.pdf

Health Behaviour in School-aged Children (HBSC) study, WHO: https://www.who.int/europe/initiatives/health-behaviour-in-school-aged-children-(hbsc)-study/highlights

Deutsches Zentrum fรผr Psychische Gesundheit (DZPG)
Pressekontakt: 
MASTERMEDIA GmbH
Dr. Cordula Baums 
Tel.: 0151 70125839  
presse@dzpg.org
www.dzpg.org

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